Erdbeben in Italien "Zehn Sekunden haben gereicht, um alles zu zerstören"

Rom/Amatrice · Retter suchen verzweifelt Überlebende unter den Trümmern. Für manche kommt die Hilfe zu spät. Das starke Erdbeben in Mittelitalien hinterlässt viele Opfer.

Es sind diese schrecklichen Bilder, die sich in Italien in die Erinnerung eingebrannt haben. Eingestürzte Häuser, Menschen, die aus Trümmern gezogen werden, Spürhunde, Tränen, Verzweiflung. Erdbeben kennt man hier, aber dieses Beben war besonders heftig. Dieses Mal traf es die mittelitalienische Region um Latium, Umbrien, Abruzzen und den Marken. Bis nach Rom und die Adria-Küste waren die Erdstöße in der Nacht zu Mittwoch zu spüren. Die Angaben zur Stärke des Bebens schwanken zwischen 6 und 6,2.

Im Zentrum des Bebens: Die Dörfer Amatrice, Accumoli und Pescara del Tronto. Dort sieht es aus wie nach einem Bombenangriff, Trümmer, Staub, eingerissene Häuser. Von Dutzenden Toten ist die Rede. Die Zahl steigt kontinuierlich. Kinder werden vermisst, ein wenige Monate altes Baby kann nur tot geborgen werden.

Schweres Erdbeben erschüttert Italien in der Nacht zum 24. August 2016
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Schweres Erdbeben erschüttert Zentralitalien - Tote und Verletzte

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Nicht weit von hier ereignete sich 2009 das fatale Erdbeben von L'Aquila, bei dem mehr als 300 Menschen gestorben sind. Es hatte die gleiche Stärke wie das jetzige. "Das, was wir in L'Aquila vor Jahren gesehen haben, ist nun hier geschehen", sagte der Bürgermeister von Amatrice, Sergio Pirozzi. "Viele sind noch unter den Trümmern. Wir bereiten einen Ort für die Leichen vor." Ein Einwohner, Marco, erzählte Reportern vor Ort: "Ich habe durch ein Wunder überlebt. Ich bin gerade aufgestanden, als alles eingestürzt ist. Zehn Sekunden haben gereicht, um alles zu zerstören."

Der Bürgermeister des Ortes Accumoli, Stefano Petrucci berichtet mit zitternder Stimme, kein einziges Haus sei mehr bewohnbar. Die Bausubstanz ist marode. Die Häuser sind teils Jahrhunderte alt - und stürzten bei den schweren Erdstößen in sich zusammen wie Kartenhäuser.

Chronik der Erdbeben in Italien
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Foto: AP

Journalisten vor Ort sprachen von "apokalyptischen Szenen", Helfer schaufelten mit bloßen Händen die Trümmer zur Seite, um Überlebende zu finden. Die Retter kommen schwer zu den betroffenen Orten - Straßen sind blockiert, Brücken einsturzgefährdet.

Genauso schlimm sieht es in Pescara del Tronto aus. Hier sind mehrere Tote zu beklagen, eine Familie mit zwei kleinen Kindern wurde verschüttet - kein Lebenszeichen von ihnen. "Es war schrecklich. Mein Mann ist mit meiner Tochter aus dem Fenster gesprungen, um sie zu retten", erzählte eine Frau. In einem anderen Fall rettete eine Großmutter ihre vier und sieben Jahre alten Enkel, weil sie sie unter einem Bett geschützt hatte.

Mitten in der Nacht wurden die Bewohner aus dem Schlaf gerissen. Selbst im mehr als 150 Kilometer entfernten Rom schwankten die Böden, Bewohner liefen auch dort nach draußen. Immer wieder wackelte es, starke Nachbeben richteten weiteres Unheil an. Auch in Ancona, Bologna und selbst in Neapel war das Beben zu spüren, hieß es am Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV). In 1997 gab es auch schon mal ein schweres Erdbeben ganz in der Nähe, in Umbrien. Damals kamen zwölf Menschen ums Leben, Kulturschätze wie die Basilika San Francesco in Assisi wurden schwer beschädigt.

Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird erst später feststehen. Der Zivilschutz sprach am Mittwoch in einer vorläufigen Bilanz von 38 Toten. Befürchtet werden allerdings wesentlich mehr. Es sei noch schwierig, die Zahl der Vermissten und Verletzten zu schätzen. Viele Kinder sind unter den Opfern.

Für die Obdachlosen des Erdbebens sollen zwei Zeltstädte in den Orten Pescara und Arquata del Tronto aufgebaut werden. Zunächst sollten dort insgesamt an die 50 Zelte aufgestellt werden, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf den Chef des Zivilschutzes der Region Marken, Cesare Spuri. Weitere Menschen sollten unter anderem in Sporthallen untergebracht werden.

Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hat derweil die Rettung von möglichen Überlebenden des Erbebens zur wichtigsten Aufgabe für die kommenden Tage erklärt. Das Land zeige in schweren Zeiten sein wahres Gesicht: "Keine Familie, keine Stadt, kein Weiler werden alleine gelassen." Der Regierungschef wollte noch am Mittwoch ins Katastrophengebiet reisen.

Aus dem Ausland trafen Beileidsbekundungen und Hilfsangebote ein. Bundeskanzlerin Angela Merkel drückte Renzi in einem Kondolenztelegramm "das tiefe Mitgefühl des deutschen Volkes" aus. Die Bilder der Verwüstungen seien schockierend, schrieb sie.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, wenn Unterstützung gewünscht werde, sei Deutschland dazu bereit.

Auch der französische Staatspräsident François Hollande bot Italien "all die Hilfe, die vielleicht nötig ist" an. Er sprach von einer "schrecklichen Tragödie". Der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Christos Stylianides, sagte, Italien habe Satellitenbilder vom Erdbebengebiet angefordert. Das Krisenzentrum der EU stehe mit den italienischen Zivilschutzbehörden in Kontakt, um Möglichkeiten zur Unterstützung in Erfahrung zu bringen.

(felt/lai/dpa/ap)
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