Familientreffen Nordkorea erlaubt 400 Südkoreanern Einreise für drei Tage
Sokcho · Nach mehr als sechs Jahrzehnten Trennung sind fast 400 Südkoreaner nach Nordkorea gereist, um dort zum ersten Mal seit dem Kriegsende ihre dort lebenden Verwandten zu treffen.
Der Buskonvoi, der die Südkoreaner in den nordkoreanischen Ferienort Kumgangsan bringen sollte, passierte am Dienstag die stark bewachte Grenze zwischen beiden Staaten. In Kumgangsan dürfen die Südkoreaner rund hundert Verwandte treffen.
Die Teilnehmer, von denen die meisten schon sehr alt sind, können sich in drei Tagen sechs Mal jeweils zwei Stunden sprechen. "Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen", sagte der 82-jährige Lee Joo Kuk vor dem Treffen mit seinem älteren Bruder. "Meine Familie war sicher, dass er tot ist. Aber dann habe ich erfahren, dass er lebt und dass er sich mit uns treffen will. Es ist, als wäre er wiederauferstanden."
Kim Wu Jong ist arm, gelähmt und lebt alleine in einer heruntergekommenen Wohnung in Seoul. Aber der 87-Jährige fühlt sich als der glücklichste Mensch in ganz Südkorea: Diese Woche trifft er seine jüngere Schwester aus dem verfeindeten Norden wieder. "Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich ich bin", sagt Kim. "Das ist besser, als im Lotto zu gewinnen."
Die beiden Staaten, die bis heute formal im Kriegszustand sind, hatten sich im August auf das Familientreffen geeinigt. Es ist erst das zweite derartige Treffen in den vergangenen fünf Jahren. Mehrere Millionen Koreaner waren während des Kriegs (1950-1953) von ihren Angehörigen getrennt worden. Bis heute haben zahllose Menschen in beiden Ländern keinerlei Kontakt zu ihren nächsten Verwandten. Mehr als 65.000 stehen auf der Warteliste die Familientreffen.
Fragen und Antworten
Seit wann gibt es die Begegnungen?
Eine erste organisierte Begegnung zwischen Familienmitgliedern aus Süd- und Nordkorea gab es 1985, damals in kleinerem Rahmen. Die Treffen in jetziger Form begannen im Jahr 2000 im Rahmen des Entspannungskurses - der Sonnenscheinpolitik - des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung, nachdem die Präsidenten der beiden Koreas erstmals zu einem Gipfeltreffen zusammengekommen waren. Kim Dae Jung erhielt für seine Versöhnungsbemühungen 2000 den Friedensnobelpreis. Immer wieder kamen die Familienzusammenführungen ins Stocken. Südkorea wünscht sich seit langem eine Ausweitung. Nordkorea stellt sich aber quer. Nach Ansicht von Beobachtern fürchtet der Norden, seine Bürger könnten sich zu stark beeinflussen lassen. Außerdem kann Pjöngjang seine Zustimmung zu Treffen gut als Druckmittel in den Verhandlungen mit dem Süden nutzen. Insgesamt kam es erst zu 19 direkten Treffen, an denen rund 18 000 Koreaner teilnahmen. Das bislang letzte war Anfang 2014. Weitere rund 3750 Koreaner konnten mit ihren sehnlichst vermissten Angehörigen zumindest über Video-Schaltung in Kontakt kommen.
Wie kam das jetzige Treffen zustande?
Den Weg zur neuen Begegnungsrunde machten Gespräche im August frei: Beide Seiten kamen trotz eskalierender Spannungen und einer drohenden militärischen Konfrontation zwischen Nord und Süd zu Marathonverhandlungen zusammen. Dabei verständigten sie sich auch auf die neuen Treffen als Beitrag zur Entspannung. Der Konflikt hatte sich zugespitzt, nachdem zwei südkoreanische Soldaten bei der Explosion einer Landmine an der Grenze schwer verletzt worden waren. Seoul machte Pjöngjang für den Vorfall verantwortlich.
Wer nimmt teil?
Zu jedem Treffen werden etwa 100 ältere Menschen von beiden Seiten zugelassen. Viele von ihnen bringen noch Kinder oder andere Verwandte mit. In Südkorea gibt es eine Art Lotterie-System, in Nordkorea sollen angeblich vor allem als loyal geltende Bürger zum Zug kommen. Nahezu die Hälfte der mehr als 130.000 Südkoreaner, die sich beworben haben, ist inzwischen bereits gestorben. Von den hundert Südkoreanern, die für die jetzige Begegnung ausgewählt wurden, haben nach Angaben des Roten Kreuzes zehn abgesagt - wegen Krankheit oder weil sie erfahren haben, dass das Familienmitglied aus dem Norden, das sie sehen wollten, gestorben ist. Auch Park Bok Nam hat derlei ernüchternde Nachricht erhalten: Ihre Mutter und ihre drei Brüder sind tot. Die 70-Jährige hat sich aber entschlossen, trotzdem zu fahren, um entferntere Verwandte zu treffen. "Ich bin gespannt, ob sie mir sagen können, wie meine Mutter gelebt hat", sagt Park schluchzend. "Ich kann mich nicht mehr gut an sie erinnern."#
Wie wurden die Familien getrennt?
Hinter jedem Schicksal der Trennung in den Wirren des Krieges von 1950 bis 1953 steckt eine andere Geschichte. Gemeinsam ist allen der Schock über die anhaltende Teilung ihrer Heimat. Kim Wu Jong floh kurz nach dem nordkoreanischen Angriff auf Südkorea im Juni 1950 in den Süden. Familienfotos nahm er keine mit, ging er doch davon aus, dass er bald zurückkehren würde. "Es kam mir nie in den Sinn, dass es so lange sein würde", sagt er über die Zeit im Exil. Choi Hyeong Jin ließ seine Frau und seine zwei Töchter zurück, als er 1951 in den Süden flüchtete. Er habe Angst gehabt, dass Frau und Kinder die Flucht in der Kälte nicht überleben würden, erzählt er. Noch immer peinigt ihn das schlechte Gewissen. Jetzt, im Alter von 95 Jahren, darf er seine jüngere Tochter wieder in die Arme nehmen. Sie war zwei, als er sie verließ. Nun ist sie 64. "Ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt erkenne", sagt Choi voller Schmerz.
Was bedeuten die Begegnungen?
Die im Krieg getrennten Koreaner haben nur stark eingeschränkte Möglichkeiten, sich zu kontaktieren. Ihnen ist die Fahrt über die am schärfsten bewachte Grenze der Erde verboten. Beide Koreas untersagen die Sendung von Briefe und E-Mails oder Telefonieren in den jeweils anderen Teil der gespaltenen Halbinsel ohne behördliche Genehmigung.
Die von den Regierungen organisierten Familienzusammenführungen sind somit für Zigtausende betagte Koreaner die einzige Chance, die geliebten Eltern, Kinder oder Geschwister noch einmal zu sehen. Kim Wu Jong kann es kaum erwarten, seine kleine Schwester zu treffen. "Mein Bruder und ich brachten sie abwechselnd zum Kindergarten", erinnert er sich. "Ich werde ihr sagen, dass wir so lange wie möglich leben müssen, um uns noch einmal zu sehen." Das könnte dauern. Bislang war noch keinem Koreaner ein zweites solches Familientreffen vergönnt.