Unruhen in Ferguson Das hässliche Amerika

Die heftigen Unruhen in der Kleinstadt Ferguson nach der Tötung eines Schwarzen durch einen weißen Polizisten werfen ein Schlaglicht auf die sozialen Zustände im mächtigsten Land der Welt. Dem immer noch tiefsitzende Rassismus steht auch der erste schwarze Präsident Barack Obama hilflos gegenüber.

US-Polizei nutzt militärisches Gerät in Ferguson
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Seine Augen sind weit aufgerissen, seine Stimme bebt, seine Hände umklammern das Sturmgewehr. "I will fucking kill you!" schreit er in die Menge um sich herum. "Ich werde euch alle verdammt noch mal umbringen!" Wer in sein Gesicht sieht, hat keine Zweifel, dass er jeden Moment abdrücken wird. Um ihn herum steht eine Menschentraube, es sind überwiegend Schwarze. Der Mann mit dem Gewehr ist weiß, er ist Polizist, und erst ein Vorgesetzter kann die Situation entschärfen, in dem er ihn von der Straße führt.

Es sind Szenen wie diese, die zurzeit aus der US-Kleinstadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri um die Welt gehen und das Bild eines Landes zeichnen, in dem geradezu bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Auf der einen Seite die überwiegend aus Weißen bestehende Polizei, die dank großzügiger Geschenke des Pentagons wie eine hochgerüstete paramilitärische Einheit daherkommt, und auf der anderen junge schwarze Männer, deren bloße Anwesenheit einiger der Sicherheitskräfte wahlweise provoziert oder in Panik versetzt.

Rund zwei Wochen ist es her, dass der 18-jährige Schwarze Michael Brown von einem weißen Polizisten erschossen wurde. Brown, der laut Aussage eines Freundes und Augenzeugen auf dem Weg zu seiner Großmutter war, war unbewaffnet. Der Polizist behauptet, es habe ein Handgemenge gegeben und er habe in Notwehr gehandelt. Fakt ist, dass Brown noch auf der Straße seinen Verletzungen erlag und sechs Kugeln in seinem Körper hatte, vier in den Beinen, zwei im Kopf.

Vorsorglich schießen

Als sich der Teenager bereits ergeben und die Hände gehoben habe, habe der Polizist weitergeschossen, behauptet sein Freund. Ob das stimmt, ist derzeit unklar. Doch die bloße Nachricht, dass ein weißer Officer einen jungen Schwarzen getötet hatte, reichte aus, um in Ferguson tagelange Unruhen auszulösen. "Hands up! Don't shoot!" skandierten die Demonstranten mit erhobenen Händen, einer inzwischen symbolischen Geste gegen ihrer Meinung nach willkürliche Polizeigewalt gegen unbewaffnete Schwarze, die selbst dann in Lebensgefahr schwebten, wenn sie sich ergeben.

US-Kleinstadt Ferguson: Proteste nach tödlichem Polizeieinsatz
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Foto: dpa, uw

Ein Blick auf die vergangenen Monate zeigt, das Ferguson keineswegs ein Einzelfall ist. Im September vergangenen Jahres feuerten zwei Polizisten auf den 24-jährigen Afroamerikaner Jonathan Ferrell, der ihnen nach einem Autounfall entgegenlief. Er starb ebenso wie der Asthmatiker Eric Garner, den Polizisten im Juli dieses Jahres festnahmen und mutmaßlich einen verbotenen Würgegriff anwendeten. Der Grund: Garner wollte illegal Zigaretten verkaufen. Anfang August starb der Familienvater John Crawford (22) im Kugelhagel der Beamten, weil er in einem Supermarkt eine Spielzeugpistole in der Hand hielt.

Vor zwei Jahren versetzte der Tod es 17-jährigen Trayvon Martin das Land in Aufruhr, der in Florida von einem selbsternannten Nachbarschaftswächter erschossen wurde. Der Täter, ein hellhäutiger Mann mit hispanischen Wurzeln, berief sich auf die so genannte "Castle-Doktrin", die es Bürgern in 30 von 50 Bundesstaaten erlaubt, vorsorglich zu schießen, wenn sie sich bedroht fühlen. Der Teenager in seinem Kapuzenpulli, der durch eine wohlhabende Gegend schlenderte, war dem Schützen George Zimmerman nicht geheuer. Im vergangenen Jahr wurde er freigesprochen. Urteil des Gerichts: Es war Notwehr.

"Systematische Misshandlung von Afroamerikanern"

Die Liste ließe sich fortsetzen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schreibt in einem Bericht, "dass exzessive Gewaltanwendung durch die Polizei gegen Afroamerikaner, asiatische Amerikaner, Indianer und Araber in den USA eines der größten Bürgerrechtsprobleme unserer Zeit ist". Die UN-Kommission zur Beseitigung von Rassendiskriminierung warnte schon im Jahr 2007, das die "systematische Misshandlung von Afroamerikanern durch die Ordnungsmacht in den USA seit 2001 dramatisch gestiegen ist."

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Foto: Screenshot Twitter

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 hatten nicht nur internationale Kriegseinsätze, sondern auch ein erhebliches Aufrüsten der heimischen Sicherheitskräfte zur Folge. Im Zuge der allgegenwärtigen Paranoia vor einem zweiten "9/11" verfahren die Polizisten nach der Devise, lieber einmal zu viel als zu wenig zu schießen. Ihr Misstrauen richtet sich dabei insbesondere gegen Minderheiten, die größte stellen die Schwarzen mit 30 Prozent der Bevölkerung.

Dass die Wahrscheinlichkeit, als Schwarzer von der Polizei angehalten zu werden, um ein vielfaches größer ist als bei Weißen, belegen nicht nur etliche Statistiken. Es ist auch die Erfahrung von Eric Holder, Afroamerikaner und Justizminister unter Amerikas erstem schwarzen Präsidenten Barack Obama. Ihn schickte der einstige Hoffnungsträger für ein "postrassistisches Amerika" nach Ferguson, und dort versprach Holder eine "faire und unabhängige Untersuchung", was in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Permanent gereiztes Klima

Er schildert aber auch, wie er in ungerechtfertigte Polizeikontrollen auf der Autobahn geriet, wie ihn die Beamten anhielten, als er auf ein Kino zu rannte, um den Film nicht zu verpassen. Schon zu Beginn seiner Amtszeit vor fünf Jahren bezeichnete er die USA in Hinblick auf ihren Umgang mit dem alltäglichen Rassismus als eine "Nation von Feiglingen". Die Erwartung, dass ein Schwarzer im Weißen Haus aus den USA ein Land machen könnte, in dem Menschen aller Hautfarben gleichberechtigt leben, war allzu naiv. Obama weiß das, und er hält sich in diesen Tagen auffällig zurück. Man könnte auch sagen, er resigniert.

Zu tief verwurzelt ist die Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft, als dass sie sich in einer achtjährigen Amtszeit von wem auch immer beseitigen ließe. Die Arbeitslosenquote ist unter Schwarzen im Schnitt doppelt so hoch wie unter Weißen. Sie haben weniger Geld, können sich nur schlechte Schulen leisten und haben damit weniger Chancen, beruflich und sozial aufzusteigen. So entstehen Armutsghettos, in denen Frust und Gewalt herrschen.

In Ferguson etwa sind zwei Drittel der Bevölkerung schwarz, rund 20 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Polizei und Stadträte aber sind fast ausschließlich weiß, es herrscht ein permanent gereiztes Klima. Der amerikanische Philosoph George Yancy hat es einmal so formuliert: "Schwarz in den USA sein, das ist ein ontologisches Verbrechen, das Verbrechen, einfach zu sein." Obwohl die Afroamerikaner nur ein Drittel der Bevölkerung stellen, sind 60 Prozent aller Gefängnisinsassen schwarz. Von den Autofahrern, die 2013 in Ferguson festgenommen wurden, hatten 93 Prozent dunkle Hautfarbe.

Das Bild vom hässlichen Amerika wurde in den vergangenen Jahren vor allem dann bemüht, wenn es darum ging, wie sich das Land in der Welt verhält. Wie es einen Krieg wie den Irak-Einmarsch 2003 auf Lügen aufbaut, wie es Menschen in Gefängnissen wie Abu Ghraib foltert, wie es vermeintliche Terroristen ohne Anklage bis heute auf Guantanámo festhält und wie es Millionen von Bürgern ausspioniert, inklusive Angela Merkel.

Doch es gibt auch eine hässliche Seite, die sich nach innen richtet, gegen die eigene Bevölkerung, mit viel zu vielen Waffen und einer sozialen Kluft, die sich anhand der Hautfarbe ziehen lässt. "Vor 35 Jahren hätte ich Trayvon Martin sein können", hat Obama nach dem sinnlosen Tod des Teenagers gesagt. Heute ist er Präsident. Geändert hat sich nichts.

(gev)
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