Flüchtlingsalltag auf Sizilien "Als das Wasser stieg, haben wir gemeinsam gebetet"

Canicattini Bagni · Tausende Flüchtlinge landen Jahr für Jahr an der Küste Siziliens. Italien ist längst nicht mehr in der Lage, dem Problem Herr zu werden. Hotels und Mietshäuser an der gesamten Südküste werden in Flüchtlingsunterkünfte umgewandelt. Eine davon nennt sich treffenderweise "Oase". Ein Alltagsbericht.

 Schleuserbanden bringen die Flüchtlinge oft zu Hunderten über das Mittelmeer.

Schleuserbanden bringen die Flüchtlinge oft zu Hunderten über das Mittelmeer.

Foto: dpa

Die "Oase Don Bosco" in den grünenden Hügeln im Süden von Sizilien empfängt keine Touristen mehr. Stattdessen sind gerade 112 total erschöpfte Flüchtlinge aus Afrika in dem früheren Hotel eingetroffen - einen Tag nach ihrer Ankunft an der italienischen Küste. Sie haben nach eigenen Berichten die Hölle hinter sich.

"Guten Tag, ich bin Ciccio", werden die Ankömmlinge von Manager Francesco Magnano begrüßt. "Ich bin hier, um Euch Würde zu geben, und Wasser, Essen und ein Bett zum Schlafen." Dann versucht er, seine neuen Gästen mit ihren Namen anzusprechen. Es gelingt nicht ganz, sorgt aber für einen heiteren Moment.

29 Euro pro Tag

Die normalen öffentlichen Einrichtungen reichen zur Aufnahme der vielen Flüchtlinge in Italien längst nicht mehr aus. Das Innenministerium hat deswegen ein Programm aufgelegt, um Hotels und Mietshäuser im ganzen Land in Flüchtlingszentren umzuwandeln. Magnano macht mit. Er bekommt 29 Euro pro Tag pro Migrant.

Der Patron hat in die Zimmer drei Betten gestellt, sie haben ein Bad und einen kleinen Balkon. Die "Oase" hat einen Gesellschaftsraum und einen Raum für den Italienischunterricht. Auch ein kleiner Fußballplatz steht den neuen Bewohnern offen. Das große Schwimmbad ist aus Sicherheitsgründen mit Gittern umstellt, das Wasser wird in den kommenden Tagen abgelassen.

"Wo sind wir? Welcher Tag ist heute? Wo ist ein Telefon, um meine Familie anzurufen? Wo gibt es Zigaretten?" Die Fragen der Flüchtlinge sind stets die gleichen. Sie kommen aus dem südlich der Sahara gelegenen Afrika: Nigeria, Guinea, Mali, Kongo. Sie haben mehrere Länder und dann die tödliche Wüste hinter sich gelassen. Die Brutalität der Milizen und die Unmenschlichkeit der Schleuser kennengelernt - bis sie an der libyschen Küste in See stachen.

"Ich habe 400 Euro für die Überfahrt nach Italien gezahlt", berichtet Mamadou Bari aus Guinea, 24 Jahre alt. "Als ich das Schlauchboot sah, wollte ich nicht mehr einsteigen. Es war ja kein richtiges Schiff. Die Geier haben mir gesagt, wenn ich umkehre, würden sie mich umbringen."

Viele flüchten aus der "Oase"

Seine Ängste waren nicht unbegründet. Erst am Donnerstag wurden in Palermo 15 muslimische Flüchtlinge festgenommen, die auf der Überfahrt zwölf Christen ins Meer geworfen haben sollen. "Bei uns im Boot waren auch Muslime und Christen", erzählt Bari. "Als das Wasser stieg, haben wir gemeinsam gebetet, uns an den Schultern gegenseitig festgehalten, damit keiner rausfällt."

Jetzt habe er wieder eine Zukunft, glaubt Bari. In der "Oase" soll er eigentlich nur 72 Stunden bleiben. Das Hotel ist nur eine erste Anlaufstelle. Hier sollen die Daten jedes einzelnen Flüchtlings aufgenommen werden, und die Fingerabdrücke. "In der Realität werden sie deutlich länger drei Tage bleiben", sagt Manager Magnano. "Wenn sie nicht vorher abhauen."

Denn viele Flüchtlinge wollen weiter nach Frankreich, Deutschland oder Skandinavien. Sobald sie aber in Italien als Asylsuchende registriert sind, dürfen sie in keinem anderen EU-Land einen Antrag stellen.

Vor dem Bahnhof von Catania am Fuße des Etna übernachten dutzende Migranten, die ein paar Tage zuvor in Palermo an Land kamen. Sie sind durch die Netze der Behörden geschlüpft, versuchen sich nach Mailand und dann in die Schweiz und weiter nach Norden durchzuschlagen. Viele träumen von England. "Da bekommst Du in drei, vier Monaten ein Bleiberecht", will einer von ihnen wissen.

"Endlich ein sicherer Ort"

Ehis Bello, ein 25 Jahre alter Nigerianer, schaut sich in Magnanos "Oase" um. "Hier ist es cool. Endlich ein sicherer Ort", sagt er. "Aber viel zu tun gibt's hier nicht." Manager Magnano will, dass sich die Flüchtlinge bei ihm wohlfühlen. Sie sollen sich um den großen Gemüsegarten kümmern. Den Raum, in dem die Rezeption untergebracht war, will er in eine Moschee umwandeln.

In dem Auffangzentrum, in dem er früher arbeitete, sei es den Betreibern nur ums Geldmachen gegangen, sagt Magnano. 170 Minderjährige seien dort unter beklagenswerten Umständen untergebracht gewesen. Als die Lebensmittelrationen halbiert werden sollten, sei es beinahe zum gewaltsamen Aufstand gekommen. "Das war nicht der richtige Weg, um die Menschen auf eine Zukunft in Europa vorzubereiten."

(AFP)
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