Islamforscher Frank Peter "Muslime fühlen sich eingeschränkt"

Bern · Der Wissenschaftler Peter Frank ist ein ausgewiesener Experte für die Themen Muslime in Europa und Islamismus in Frankreich. Dort fällt Muslimen die Identifizierung mit dem Staat zunehmend schwerer, sagt der Berner Islamforscher.

Vielen Muslime fühlen sich in Frankreich fremd.

Vielen Muslime fühlen sich in Frankreich fremd.

Foto: MovingIMAGE24

Spielt Frankreich in Bezug auf Islamismus eine Sonderrolle in Europa?

Peter Es gibt in der Öffentlichkeit ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür gibt, dass in Frankreich die Beziehung von Staat und Religion anders organisiert ist als in europäischen Nachbarländern. Von dieser Besonderheit wird dann oft abgeleitet, dass die Integration des Islams als eine öffentlich praktizierte Religion problematisch ist oder besondere Anpassungsleistungen von Muslimen erfordert. Das ist ein Diskurs, der in Frankreich seit der ersten Kopftuchaffäre 1989 geführt und von islamischen Organisationen teilweise aufgenommen wird. Die haben darüber nachgedacht, wie sie für sich ein muslimisches Leben führen und zugleich gute Bürger der Republik sein können. Die Debatte, die übrigens maßgeblich auch im islamistischen Milieu geführt wurde, strahlte auch über die Grenzen Frankreichs hinaus.

Auch nach Deutschland?

Peter Die Frage wird bei uns im Vergleich sehr viel seltener gestellt. In Frankreich sind die Begriffe von Bürgerschaft und Republik von viel größerer Bedeutung. Diese Unterscheidung ist wichtig um verstehen zu können, warum die Debatte in Frankreich weit schärfer und auch polemischer geführt wird. Die Vorstellung, dass Religion in Frankreich nur ganz bedingt ein Anrecht hat, sich öffentlich zu manifestieren — was so pauschal nicht stimmt —, ist wirkmächtig und trägt viel dazu bei, dass die Vereinbarkeit von Bürgerschaft und islamische Identität als Problem gesehen wird.

Hat der Islam Schwierigkeiten, sich in den Freiräumen, die eine säkulare Gesellschaft bietet, zu finden und zu entwickeln?

Peter Gerade in den islamistischen Milieus, die sich zum Teil dem Denken der Muslim-Brüder verpflichtet fühlen, wurden schon Mitte der 90er Jahre Möglichkeiten gefunden, Bürgerschaft und muslimische Identität zu kombinieren und die Republik und ihre Gesetze aus islamischer Sicht zu legitimieren. Schwierig ist es aus ihrer Sicht dadurch geworden, dass der Laizismus zuletzt restriktiver ausgelegt wurde. Das ist eine wichtige Entwicklung. So wurde 1989 das Tragen eines Kopftuches in Schulen richterlich noch grundsätzlich autorisiert. Nach wiederholten Kontroversen kam es 2003 zu einer großen nationalen Debatte, die mit einem Verbot des Kopftuches endete. Das ist aus Sicht vieler Muslime nur ein Zeichen dafür, dass das Säkularismusprinzip zunehmend auf eine Weise ausgelegt wird, die die Freiheitsrechte von Muslimen einschränkt.

Ist das Attentat auf die Redaktion des Pariser Satire-Magazin ein pathologischer Einzelfall, oder ist es der blutige Schlusspunkt einer fehl gelaufenen Entwicklung?

Peter Die Tat selbst ist natürlich von radikalen Menschen begangen worden, die von der Mehrheit der Muslime deutlich unterschieden werden müssen. Wichtige muslimische Verbände haben wiederholt ihre Kritik an den Publikationen des Satire-Magazins "Charlie Hebdo" geäußert. Sie wählten allerdings seit 2006 den Rechtsweg, um vor Gericht ohne Erfolg bestimmte Publikationen zu verbieten. Es wurde auch eine innermuslimische Diskussion geführt über den Gebrauch der Meinungsfreiheit, den Umgang mit Verunglimpfung des Islam und wie man in einer Gesellschaft leben kann, in der Satire und Karikatur eine so große Bedeutung haben. Es gibt eine indirekte Beziehung zwischen dem gestrigen Anschlag und dem Streit um die Grenzen der Meinungsfreiheit, der seit 2006 immer wieder entflammt. Durch diesen Streit ist "Charlie Hebdo" zum Symbol einer bestimmten Kritik des Islam und schließlich zum Opfer geworden.

Würden Sie die vorherige Debatte über Meinungsfreiheit dann als gescheitert betrachten?

Peter Sie hat auf jeden Fall zu einer Situation geführt, in der die Kritik von Muslimen an Karikaturen oder Darstellungen zu schnell als grundsätzliche Ablehnung von Meinungsfreiheit oder Zensur gesehen wurde. Man stritt dann nicht mehr über die Grenzen der Meinungsfreiheit im jeweiligen Fall, sondern verteidigte die absolut gedachte Meinungsfreiheit gegen Zensur oder Redeverbote. Das hat sicher zur Eskalation beigetragen, erklärt aber natürlich nicht die gestrige Tat. Ein Blick gerade auf die katholische Kirche zeigt, dass nicht nur die Muslime in Frankreich bestimmte Publikationen kritisieren oder prozessieren.

Kann auch Deutschland irgendeine Lehre aus dem Attentat ziehen?

Peter In Frankreich hat es in den vergangenen zehn Jahren eine deutliche Verschlechterung des Klimas gegeben. Muslime haben zunehmend das Gefühl, dass wenn über Säkularismus gesprochen wird, auch eine Form der Assimilierung der Muslime eingefordert wird. Das hat eine Identifizierung der Muslime mit Frankreich nachhaltig erschwert. Das Attentat selbst aber, jenseits der Terrorismusproblematik, verweist auf den Streit um Meinungsfreiheit. Reicht es aus, nur über die rechtlichen Grenzen von Meinungsfreiheit zu sprechen? Wie soll öffentlich über den Islam gestritten werden und was kann der Beitrag von Karikatur und Satire sein? Diese Debatte wird nun in Frankreich unter anderen Vorzeichen geführt werden.

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