Do-It-Yourself-Flugzeug František fliegt

Prag · 14 Minuten brauchte František Hadrava mit dem Auto zur Arbeit. Zu lange, fand er – und baute sich kurzerhand ein Flugzeug. Die Geschichte eines Mannes, der fragt "Warum denn nicht?

 "Tu, was dir Spaß macht und worin du gut bist — und lass die Leute einfach reden", sei seine Lebensphilosophie, sagt František Hadrava (45), Schlosser aus Tschechien. Also steckte er zweieinhalb Jahre in den Eigenbau eines Flugzeugs.

"Tu, was dir Spaß macht und worin du gut bist — und lass die Leute einfach reden", sei seine Lebensphilosophie, sagt František Hadrava (45), Schlosser aus Tschechien. Also steckte er zweieinhalb Jahre in den Eigenbau eines Flugzeugs.

Foto: Hadrava

14 Minuten brauchte František Hadrava mit dem Auto zur Arbeit. Zu lange, fand er — und baute sich kurzerhand ein Flugzeug. Die Geschichte eines Mannes, der fragt "Warum denn nicht?

Man könnte sagen, František Hadrava habe sich ein Flugzeug gebaut, um beim Pendeln ein paar Minuten zu sparen. Ganz falsch wäre das nicht; im Vergleich zum Autofahren spart er beim Fliegen natürlich Zeit, und Sprit noch dazu: Die "Vampira" verbraucht nur sechs Liter pro Stunde, da kann sein tannengrüner Skoda nicht mithalten. Doch das war nicht der Grund. "Weil er kann" wäre schon näher an der Wahrheit. Noch näher dran wäre: Weil er wollte.

Hadrava hat sich ein Flugzeug gebaut, weil er Lust dazu hatte. Weil er den Kopf eines Ingenieurs hat, die Hände eines Tischlers, das Herz eines Romantikers — und einen Pilotenschein. Weil er ein ernsthafter Träumer ist; einer, dem seine Träume so wichtig sind, dass er sie verwirklicht. Weil er sich nicht mit der Frage "Warum?" aufhält, sondern so frei ist zu fragen: "Warum eigentlich nicht?". Vor einigen Wochen gingen Fotos von ihm um die Welt.

Die zugehörigen Artikel trugen Titel wie "Typ baut sich ein Flugzeug, damit er sechs Minuten schneller zur Arbeit kommt" und wurden zehntausendfach geteilt. Dass er darin oft als leicht verrückt dargestellt wird, störe ihn nicht, sagt Hadrava. "Ich bin eher stolz darauf. Dasselbe zu tun wie alle anderen, reizt mich nicht." Eine eigene Familie, die über sein zeitaufwändiges Hobby klagt, hat er nicht. Seine Schwester habe das Projekt erst für Spinnerei gehalten, erinnert er sich, "aber inzwischen hat sie ihre Meinung geändert, wie fast alle Leute hier".

"Niemand redet mir rein, niemand kann mich zu irgendetwas zwingen"

 Drei Hobbys auf einem Bild: Hadrava liebt die Fliegerei, Heavy Metal und seine Katze.

Drei Hobbys auf einem Bild: Hadrava liebt die Fliegerei, Heavy Metal und seine Katze.

Foto: Hadrava

Der 45-Jährige lebt im Dörfchen Zdikov, im Südosten Tschechiens, nahe dem Dreiländereck mit Österreich und Deutschland. Früher fuhr er mit dem Auto zur Arbeit, wie jeder hier, der nicht seinen eigenen Hof bewirtschaftet. Die Region ist dünn besiedelt und dicht bewaldet, reich an Naturschönheit und arm an Einkommen. Einst verlief hier der Eiserne Vorhang. Heute wüsste kein Wanderer, der sich ohne GPS im Wald verliefe, ob er sich noch im tschechischen Nationalpark Šumava ("Böhmerwald") befindet oder schon im deutschen Nationalpark Bayerischer Wald. Doch wer hier lebt, muss sich nach wie vor auf eine Seite schlagen: Weggehen, in den Westen oder wenigstens nach Prag — oder bleiben, sich arrangieren.

Hadrava blieb. "Natürlich ist es schwer, hier gutes Geld zu verdienen", sagt er. "Aber hier lebe ich seit meiner Geburt, hier sind meine Familie und Freunde. Hier ist meine Heimat." Die Fliegerei fasziniert ihn seit seiner Kindheit, schon als Zehnjähriger konnte er nicht genug bekommen von TV-Serien wie "Männer mit Flügeln" und "Eroberung des Himmels". Während andere Jungs Fußball spielten, baute er immer ausgefeiltere Flugzeugmodelle. Mit 16 kam ihm die Leidenschaft fürs Fliegen durch seine E-Gitarre abhanden, doch mit Anfang Zwanzig bastelte er schon an einem Paraglider-Trike herum, einem Dreirad mit riesigem Propeller und Gleitschirm. "Zum Fliegen bekommen habe ich das Ding nie", sagt er, aber seitdem hat ihn das Fieber gepackt und nicht mehr losgelassen.

Eigene Flugerfahrungen sammelte er mit Gleitschirmen und Motordrachen, bald folgte der "große" Pilotenschein. 2002 wagte er sich an echte Flugzeuge, im Maßstab 1:1 und voll funktionsfähig.

 Die "Vampira" in der Werkstatt. Die Flügel lassen sich für den Transport abnehmen und etwa auf einem Dachgepäckträger transportieren. Der Rumpf des Flugzeugs wird wie ein Anhänger ans Ziel geschleppt.

Die "Vampira" in der Werkstatt. Die Flügel lassen sich für den Transport abnehmen und etwa auf einem Dachgepäckträger transportieren. Der Rumpf des Flugzeugs wird wie ein Anhänger ans Ziel geschleppt.

Foto: Hadrava

Sein Hobby zum Beruf zu machen, liegt ihm fern. Damit es sein Hobby bleibt. "Das Wichtigste ist, dass ich mich von meinen eigenen Vorstellungen leiten lassen kann", sagt er. "Niemand redet mir rein, niemand kann mich zu irgendetwas zwingen."

Deshalb ging er nicht zu Airbus oder einem der vielen tschechischen Flugzeugbauer wie Aero Vodochody oder Zlin, sondern zu Dřevostroj. Diese Firma in seinem Nachbarort Čkyně baut Maschinen ohne Flügel und ohne Charme: Wurzelreduzierer, Restholzentsorger, Sortier- und Stapelanlagen für Schnittholz. Statt um den uralten Menschheitstraum vom Fliegen geht es bei Dřevostroj um Nutzholzgewinnung. Mit seiner Arbeit dort als Schlosser ist Hadrava zufrieden, aber die Pendelei nervte ihn. Obwohl es niemals Stau gibt auf den knapp 15 Kilometern.

"Lass die Leute einfach reden"

 Weder Metall noch Carbon: Das "Skelett" seiner Flugzeuge (hier: Fokker Dr.I) baut Hadrava aus präzise geschliffenem und zusammengeleimtem Holz.

Weder Metall noch Carbon: Das "Skelett" seiner Flugzeuge (hier: Fokker Dr.I) baut Hadrava aus präzise geschliffenem und zusammengeleimtem Holz.

Foto: Hadrava

14 Minuten brauchte er früher für einen Weg, höchstens. Heute benötigt er nur knapp die Hälfte, wenn er die landschaftlich reizvollste aller denkbaren Routen nimmt — durch die Luft, über die bewaldeten Hügel des Böhmerwalds. Mit der "Vampira", einem Flugzeug, das er selbst entwickelt und gebaut hat. Sie basiert auf den Entwürfen des amerikanischen Ultraleichtflugzeugs-Herstellers "Mini-Max", der seit 30 Jahren versucht, Kosten, Bauzeit und Gewicht von Eigenbau-Flugzeugen immer weiter zu senken. Diesen Bauplan (hier kostenlos erhältlich) hat Hadrava nach seinem Geschmack verändert, den Rumpf verlängert, Cockpit und Pilotensitz umgestaltet sowie fast alle Oberflächen abgerundet. "Ich wollte, dass es historisch wirkt", sagt er. Eine Art fliegenden Schuhkarton mit rechteckigen Flügeln hat er in etwas verwandelt, das wirkt wie ein gut gepflegter Oldtimer.

Aus handverlesenem Fichten- und Birkensperrholz gesägt und geschliffen über zweieinhalb Jahre hinweg in seinem Schuppen, bespannt mit Leinen und Folie, ausgestattet nur mit den nötigsten Instrumenten wie Kompass, Fahrt-, Höhen- und Steigungsmesser. Die Ruder, mit denen er das Flugzeug steuert, funktionieren mechanisch; er zieht sie über Drahtseile nach oben und unten, links und rechts. Purismus mit Flügeln.

 Aller guten Dinge sind drei: Hadrava mit dem vom Hersteller gesponserten Motor. Gleich zwei, die er zuvor eingebaut hatte, waren zu leistungsschwach oder hatten den falschen Sound.

Aller guten Dinge sind drei: Hadrava mit dem vom Hersteller gesponserten Motor. Gleich zwei, die er zuvor eingebaut hatte, waren zu leistungsschwach oder hatten den falschen Sound.

Foto: Hadrava

Sein Outfit passt dazu: Über seinen Blaumann zieht er eine Lederjacke und wirft sich einen weißen Schal um, seine schwarze Lockenmähne bändigt er unter einer Lederkappe mit Kinnriemen, darüber schnallt er eine urige Pilotenbrille. "Tu, worin du gut bist und was dir Spaß macht", sagt er. "Und lass die Leute einfach reden."

Sich selbst nimmt er nicht allzu ernst. Für das tschechische Fernsehen posiert der Heavy-Metal-Fan auch schonmal mit seiner E-Gitarre in der Scheune, die ihm als Werkstatt dient. "Ich habe auch schon in ein paar Bands gespielt", sagt er. "Erfolg hatten wir allerdings nie — ich habe nicht viel Talent."

 Qual der Wahl: Hadrava besitzt diverse historische Fliegerbrillen und -kappen.

Qual der Wahl: Hadrava besitzt diverse historische Fliegerbrillen und -kappen.

Foto: Hadrava

Umso größer ist sein Händchen für Flugzeuge. Hadravas "Vampira" ist ein Leichtgewicht von 175 Kilo, trägt das Kennzeichen OK-IUX-02, erreicht bis zu 146 Stundenkilometer. Doch das Flugzeug ist mehr als die Summe seiner Fakten. Bei aller Alltagstauglichkeit ist es eine Schönheit. Der Propeller aus gemasertem Eschenholz. Die drei Zylinder des klassischen, silbern glänzenden Sternmotors — es ist der Dritte, den er eingebaut hat, und der Erste, mit dessen Leistung und Sound er zufrieden ist. Das Leder, mit dem der Sitz und der Rand der Windschutzscheibe bezogen sind. Die Stoffbespannung über dem Holzskelett silbern lackiert mit blauen Zierstreifen. Und die Instrumente, mit Ziffern und Zeigern statt Digitaldisplays.

Nur 3.700 Euro habe er in die "Vampira" investieren müssen, beteuert er. Zu verdanken ist das dem tschechischen Motorenhersteller Verner, der ihm den Motor überließ, sowie seinem Arbeitgeber, der ihn bei der Besorgung des Bauholzes unterstützte. In Deutschland kostet allein die Zulassung eines Eigenbaus mindestens 2000 Euro, die Genehmigungen beim Luftfahrtbundesamt erfordern dutzende Formulare und viel Geduld. In Tschechien ist der Vorgang etwas weniger aufwändig, aber auch Hadravas Baufortschritte wurden regelmäßig von einem Technischen Inspektor überprüft, Endabnahme und Testflug übernahm ein Testpilot.

"Träumt mehr!"

Seitdem ist Hadravas Freiheit fast grenzenlos, auf Start- und Landeerlaubnisse ist er nicht angewiesen. Grund: Er bewegt sich stets in geringer Höhe (maximal 1000 Fuß, circa 300 Meter) über ländlichem Gebiet, im weitestgehend unregulierten sogenannten "Luftraum Golf". Damit hat Hadrava eine allgemeine Erlaubnis zum Fliegen wann und wohin er will, solange die Bedingungen für Sichtflug erfüllt sind, er den Boden sowie den Luftraum um sich herum sieht und sich von Wolken fernhält. Ansonsten ist er auf eigenes Risiko unterwegs, wie jeder andere Pendler auch. Seine ängstliche Sorge beim Erstflug ist längst dem Genuss gewichen. "Zur Fabrik zu fliegen, macht einen Arbeitstag einfach zu etwas ganz Besonderem", sagt er.

Hadrava könnte in vier, fünf Minuten auf der Wiese gegenüber seiner Firma landen, doch ein paar Minuten Umweg gönnt er sich, aus Rücksicht auf schlafende Nachbarn. Kaum haben die Reifen Bodenkontakt, schaltet er den Motor ab; nach dem Ausrollen schultert er das Heck des Flugzeugs und zieht es unter ungläubigen Blicken der stoppenden Autofahrer über die Straße auf das Firmengelände, wo er vier Parkplätze belegt. "Das Autofahren hat aber unschlagbare Vorteile", gibt er zu: "Es ist bequem und schnell, man ist unabhängig von den Wetter- und Lichtverhältnissen und muss nicht früher aufstehen, weil man keinerlei Vorbereitungszeit braucht." Öfter als zehn Mal sei er deshalb bislang auch nicht zur Arbeit geflogen.

Zweieinhalb Jahre Arbeit also, um zehn mal zwei mal sieben Minuten zu sparen — die zu allem Überfluss auch noch von den Flugvorbereitungen wieder aufgefressen werden? Das vielleicht krasseste Missverhältnis von Aufwand und Ertrag aller Zeiten? Auf die Frage, was er denen entgegnet, die das so sehen, lächelt František Hadrava nachsichtig: "Ich würde ihnen vorschlagen, mehr zu träumen."

(tojo)
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