Analyse Geht der Papst zu weit?

Düsseldorf · In der jüngsten Generalaudienz hat Papst Franziskus leichte Schläge als Erziehungsmethode für vertretbar erklärt. Seine Äußerungen lösten vor allem in der westlichen Welt Empörung aus. Ein Pro und Contra.

 Papst Franziskus schlägt in diesen Tagen viel Kritik entgegen.

Papst Franziskus schlägt in diesen Tagen viel Kritik entgegen.

Foto: dpa, bwe kno lof

Pro - von Lothar Schröder

Die päpstliche Unfehlbarkeit ist eine Erfindung der Neuzeit. Die Konzilsväter kamen 1870 auf die Idee, den Heiligen Vater auf diese Weise zu ermächtigen. Das hat die Menschen so fasziniert, dass sie sich bis heute die Köpfe darüber heißreden. Dabei ist das Dogma so gut wie irrelevant. Erstens gilt es allein für Glaubensfragen, zweitens wurde es erst ein einziges Mal angewandt: von Papst Pius XII. 1950 zur leiblichen Himmelfahrt Marias. Dass die Unfehlbarkeit dennoch mit jedem Papst emotional verbunden bleibt, zeigt, welches Charisma diesem Amt innewohnt - obwohl es kein Weihe-Amt ist, wird dem Heiligen Geist tatkräftige Unterstützung als Wahlhelfer der Kardinäle zugesprochen.

All das spielt eine Rolle, wenn jetzt über das flotte und immer häufiger kritikwürdige Reden von Papst Franziskus diskutiert wird. Wir haben Franziskus schätzen gelernt für eine Amtsführung, die - zumindest im Gegensatz zu seinen Vorgängern - unkonventionell ist. Die Welt horcht auf, wenn er das Redemanuskript beiseite legt und frei über das zu sprechen anhebt, was ihm auf der Seele brennt. Das Papstamt scheint sich ein wenig aus dem Korsett zu befreien. Allerdings nicht erst seit ihm. Mit Benedikt XVI. lernte die Welt, dass Christi Stellvertreter auf Erden auch zurücktreten kann.

Dass der Papst kein Heiliger, sondern ein Mensch ist, dem die Kräfte schwinden können. Johannes Paul II. war mit seiner langen Krankheit zum Martyrium bereit. Bei Benedikt obsiegten Vernunft und Kalkül. Das Papstamt war auch dadurch schon ein klein wenig entmystifiziert. Franziskus treibt dies weiter voran und mit zunehmendem Tempo - mit seiner Kleidung, seiner Wohnstätte, seinen spontanen Ortsbesichtigungen. Er ist immer in Aktion, ein Evangelium auf zwei Beinen.

Es gibt inzwischen bei weitem mehr Bücher über ihn als von ihm. Dennoch, seine Erfolge sind nicht mickrig: Die Kirche der Armen ist mehr als eine Phrase, sondern ein Umbauprogramm, das an den legendären Katakombenpakt einiger Bischöfe nach dem Zweiten Vaticanum anzuknüpfen scheint. Auch hat Franziskus maßgeblich mitgewirkt an der historischen Annäherung von Kuba und den USA. Das Wichtigste steht im Herbst an - mit dem zweiten und entscheidenden Teil der Bischofssynode zu Ehe und Familie. Daran wird sich der Erfolg seines Pontifikats messen lassen Innerkirchlich ist er nicht unumstrittenen. Seine Gegner in der Kurie werden aufmerksam den Karnickel-Vergleich vernommen haben, seine Bereitschaft zur handgreiflichen Mutter-Verteidigung wie auch zuletzt die inakzeptablen Tipps zur gewaltvollen Kinder-Erziehung.

Nur ein Fauxpas? Vielleicht. Aber einer mit Folgen. Die Entmystifizierung des Papstamtes ist der richtige, die fröhliche Teilnahme am Meinungsgeschäft, aber der falsche Weg. Der Papst ist fehlbar. Wer im Tohuwabohu der Stimmen gehört und in die Kirche hineinwirken will, darf sich nicht selbst entmachten.

Contra - von Martin Kessler

Der Papst hat zwar einen Fehler gemacht. Prügel gegen Kinder sind kein akzeptables Erziehungsmittel. Schon kleine Schläge demütigen die kindliche Seele. Und selbst wenn nicht: Wo zieht man die Grenze zwischen angeblich angemessener und übertriebener Züchtigung? Da ist es besser, die Prügelstrafe komplett aus dem Arsenal der Erziehungsmethoden zu verbannen.

Doch umgekehrt ist der Papst kein Unmensch, wenn er Erziehungsmethoden propagiert, die auch bei uns vor 40 Jahren noch völlig selbstverständlich waren. Wer sein Urteil über den Papst allein danach ausrichtet, verkennt die Sozialisierung der Kirchenoberhaupts in einer viel konservativeren argentinischen Gesellschaft. In den Slums von Buenos Aires sind leichte Schläge sicher das kleinere Übel, wenn Banden, Oligarchen oder Militärs die Bevölkerung mit ungebremster Gewalt tyrannisieren. Das entschuldigt nichts, aber es erklärt.

Es zeigt auch, dass der Papst aus einer anderen Gegend der Welt kommt, die sich mit anderen Problemen herumschlagen muss als der Frage, ob einem verärgerten Vater oder einer übermüdeten Mutter mal die Hand ausrutscht. Und man wird auch den deutschen Eltern aus den 60er und 70er Jahren, die in seltenen Fällen ihre Kinder einmal geschlagen haben, nicht unterstellen, dass sie allesamt böse und gewalttätig waren. Deshalb sollten wir bei aller berechtigten Papst-Kritik die Kirche buchstäblich im Dorf lassen.

Auf der Haben-Seite des Papstes steht, dass er wie kein anderer die wirkliche Gewalt, die vor allem die Menschen in der dritten Welt bedrängt, thematisiert. Und er ist erbost über die Gleichgültigkeit in den reichen Teilen der Erde, wenn es um diese Gewalt geht. Oder hat es jemals eine vergleichbare Entrüstung darüber gegeben, dass in Lateinamerika, Afrika oder Südostasien Tausende von Frauen in sexueller Sklaverei gehalten werden, Menschenleben nichts wert sind oder Kinder brutal misshandelt werden? Es scheint eine künstliche Erregung einzusetzen, weil ein angeblich "unfehlbarer" Papst reichlich altmodische Erziehungsmethoden zum Besten gibt.

Mit der Empörung über den Papst, der gegen leichte Schläge in der Erziehung nichts einzuwenden hat, zeigt sich auch ein Missverständnis zwischen den Kulturen. Wir in der westlichen Welt erheben unseren Diskussionsstand zum allein gültigen und wundern uns, dass eine Kirche, die vor allem in der Dritten Welt Erfolge erzielt, diesen nicht ständig im Auge hat.

Denn der Papst aus der Dritten Welt hat längst erkannt, dass die christliche Botschaft in unserer Wohlstandsgesellschaft eher auf dem Rückzug ist, während sie den Armen und Entrechteten der nach wie vor unterentwickelten Staaten vielfach den Lebensinhalt bedeutet. Wir sollten das nicht vergessen und dem Papst dankbar dafür sein, dass er diese Menschen in ihren Nöten wirklich ernst nimmt.

(kes los)
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