Der Anwalt des norwegischen Massenmörders Breivik Geir Lippestad: "Ich habe meine Seele nicht verloren"

Oslo · Als Geir Lippestad das Mandat für Anders Behring Breivik übernahm, verstanden viele Norweger dies zunächst nicht. Doch für den Anwalt stand von Anfang an fest, dass auch der norwegische Massenmörder ein Recht auf eine Verteidigung habe. Jetzt, fast drei Jahre nach der Tat spricht Lippestad in einem Interview über diese Zeit. Über Breivik sagt er: "Ich fand ihn nie nett".

 Geir Lippestad mit dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik im April 2012 vor Gericht.

Geir Lippestad mit dem norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik im April 2012 vor Gericht.

Foto: afp, Junge, Heiko

Es dürfte der schwierigste Prozess seines Lebens gewesen sein: Geir Lippestad war der Mann, der 2012, ein Jahr nach dem Anschlag in Oslo und dem Massaker auf der Insel Utoya, Anders Behring Breivik vor Gericht verteidigte. Im Gespräch mit dem "SZ Magazin" erzählt er über diese Zeit und sein Verhältnis zu dem norwegischen Massenmörder. "Es war ein schwieriger Fall", gesteht er ein. Aber er sagt auch, dass er das Mandat wieder übernehmen würde. Denn er glaube an den Rechtsstaat.

Er habe Angst gehabt, diesen Mann zu verteidigen, sagt Lippestad in dem Interview angesichts der rohen Gewalt, mit der Breivik gerade auf Utoya die Jugendlichen erschossen hatte. "Ich habe an meine Familie gedacht. An meine Kinder." Aber auch seine Frau habe ihm zugeraten, den Fall zu übernehmen. "Wenn man glaubt, dass man mit seinem Team so einen Fall schaffen kann, muss man ihn übernehmen", fügt er noch hinzu.

Das Haus zunächst mit Tomaten beworfen

Schon ein paar Stunden habe er gewusst, dass es richtig gewesen sei, Breivik zu verteidigen. "Weil wir einen Terroristen wie einen Menschen behandeln und seine Rechte und Würde achten müssen, denn das ist unsere Stärke", wie er sagt. Das hätten auch die Norweger irgendwann verstanden. Sie hätten verstanden, "dass ich den Fall nicht angenommen habe, weil ich Breiviks Ansichten teile, sondern weil ich an den Rechtsstaat glaube". Immer wieder betont er das in dem Interview genauso wie damals, als er gerade das Mandat übernommen hatte.

Aber er erinnert sich auch daran, dass das Haus seiner Familie zunächst mit Tomaten beworfen worden war, dass sie Polizeischutz brauchten. Für die kleinen Kinder sei es schwierig gewesen. "Die anderen Eltern im Kindergarten wollten nicht, dass unsere Kinder in den Kindergarten gingen." Aber nach ein paar Tagen habe sich die Aufregung gelegt.

In Bezug auf Breivik selbst sagt er, dass er damals davon überzeugt gewesen sei, dass er geistesgestört sei und behandelt werden müsse. Deshalb habe sein Team auch sechs Monate damit zugebracht, dies zu beweisen. Dann aber habe er sich selbst für zurechnungsfähig erklärt. "Sollte ich auf ihn hören, auf das Monster? Das war ein Dilemma", sagt Lippestad dem "SZ Magazin". Heute aber, nach der Zeit vor Gericht und den Aussagen von Ärzten und Experten sei auch er davon überzeugt, dass Breivik zurechnungsfähig ist.

Lippestad: Breivik zeigte kein Anzeichen von Reue

Wie er sich nach den Treffen mit Breivik gefühlt habe, wird der Anwalt gefragt. "Wenn jemand 77 junge Menschen hinrichtet, um eine politische Erklärung abzugeben, (...) wenn dieser Mann detailliert beschreibt, wie er diese jungen Menschen abgeknallt hat, und man ihm zuhören muss, dann fühlst du dich grauenhaft. Du sitzt da, bist professionell und versuchst, nicht darüber nachzudenken, was du fühlst. Du machst dir Notizen. Aber wenn du nach Hause kommst und deine eigenen Kinder siehst, reagiert etwas in dir, darum habe ich versucht, diese Begegnungen aus meinem System zu kriegen, bevor ich nach Hause gekommen bin", sagt Lippestad.

"Manchmal", so fügt er hinzu, "musste ich mir regelrecht ins Gedächtnis rufen: Er ist ein Mensch." Er habe keinen Anflug von Reue gezeigt, was ungewöhnlich sei. Das habe es leicht gemacht, distanziert zu bleiben. Wenn er über seine Familie gesprochen habe, dann habe er das auf eine nette Art getan. "Er kann nett zu Menschen sein, das konnte man erkennen", so der Anwalt. "Aber ich fand ihn nie nett."

Als er das Mandat übernahm, hatte der Verteidiger angedeutet, dass er Angst habe, seine Seele zu verlieren, "weil ich so viel Horror erlebt habe. Weil ich so viel Kummer und Leid begegnet bin", wie er heute sagt. Aber er sagt heute auch; "Ich habe meine Seele nicht verloren." Und er fügt schließlich auch noch hinzu; "Ich hätte diese Arbeit so nicht leisten können, wenn ich nicht diese Gesellschaft im Rücken gehabt hätte." Norwegen habe darauf vertraut, dass er eine angemessene Strafe erhalte. Und nach dem Prozess sei sein Land stolz darauf gewesen, "dass wir diesen Verbrecher menschlich behandelt haben".

(das)
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