Heftige Kämpfe in Syrien Hunderttausende fliehen aus Aleppo

Beirut · Vor den Kämpfen in der nordsyrischen Stadt Aleppo sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen innerhalb von 48 Stunden 200.000 Menschen geflohen. UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos forderte am Sonntag in New York freien Zugang nach Aleppo für Hilfsorganisationen.

Schwere Gefechte in der syrischen Stadt Aleppo
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Schwere Gefechte in der syrischen Stadt Aleppo

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Die syrischen Streitkräfte setzten bei ihren Angriffen auf die Rebellenstellungen in der 2,5-Millionen-Einwohner-Stadt Panzer, Artillerie und Helikopter ein. Durch die Offensive der regulären Truppen von Präsident Baschar al-Assad seien in der Wirtschaftsmetropole Aleppo zahlreiche Hilfsbedürftige eingeschlossen, erklärte Amos in New York. Die Hilfsorganisationen müssten die Möglichkeit erhalten, den Bedürftigen Nahrung, Wasser und Decken zur Verfügung zu stellen. Amos forderte alle kämpfenden Parteien auf, "Zivilisten nicht als Zielscheiben" auszuwählen.

Es sei "sehr schwierig" für die Hilfsorganisationen, zu den Flüchtlingen vorzudringen, die sich aus Aleppo, Hama und anderen umkämpften Gebieten in Sicherheit zu bringen suchten. Die Armee hatte Aleppo am Sonntag den zweiten Tag angegriffen. Jordanien öffnete das erste offizielle Lager für zehntausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland.

Außenminister Nasser Dschawdeh sagte bei der Einweihung des Lagers Mafrak an der jordanisch-syrischen Grenze, sein Land tue sein Mögliches für die Sicherheit der Flüchtlinge und bemühe sich zugleich um eine politische Lösung des Konflikts in Syrien. Nach Angaben des Ministers ist das Lager für bis zu 120.000 Flüchtlinge ausgelegt. Dschawdeh gab die Zahl der syrischen Flüchtlinge in Jordanien mit mehr als 142.000 an.

Trotz ihrer Offensive konnten die syrischen Regierungstruppen Aleppo zunächst nicht wieder unter ihre Kontrolle bringen. Nach Angaben eines Aufständischen, der seinen Namen mit Abu Alaa angab, setzte die Armee den Beschuss des Viertels Salaheddin am Sonntag fort, in dem die Aufständischen am Vortag eine Bodenoffensive zurückgeschlagen hatten. Zudem gab es Gefechte in den Vierteln Bab al-Nasr, Bab al-Dschadid und in der historischen Altstadt.

Die verbliebenen Einwohner Aleppos suchten in Kellern Schutz vor dem Beschuss aus Panzern und Helikoptern, wie ein AFP-Reporter berichtete. Angesichts der Kämpfe in Aleppo rief der internationale Syrien-Sondergesandte Kofi Annan Regierungstruppen und Rebellen zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts auf. Er fordere alle Konfliktparteien auf, jedes weitere Blutvergießen zu vermeiden, erklärte Annan. Der Präsident des oppositionellen Syrischen Nationalrats (SNC), Abdel Basset Sajda, forderte befreundete Staaten auf, die FSA mit Waffen zu versorgen.

Die syrische Regierung hat derweil die Sicherung ihrer Chemiewaffen verstärkt. Ein Teil des Waffenkontingents sei von einem Militärflugplatz in der Nähe von Homs in ein besser geschütztes Lager gebracht worden.

Syrien sichert seine Chemiewaffen und das Depot. Nach Berichten des "Spiegel" verlegte Damaskus Teile des Arsenals. Aus Erkenntnissen westlicher Geheimdienste gehe hervor, dass die Regierung Schlüsselstellungen in den Lagern neu mit regimetreuen Alawiten besetzt habe, schreibt das Magazin.

Ein Teil des Waffenkontingents sei von einem Militärflugplatz in der Nähe von Homs in ein besser geschütztes Lager gebracht worden. Dies solle offenbar nicht einer Mobilmachung dienen, sondern der Absicherung der Bestände. Vor allem Israel hat Sorge geäußert, dass die Chemiewaffen in die Hände der Hisbollah-Miliz gelangen könnten.

Kampf um Aleppo

Die Kämpfe um die Metropole Aleppo gehen unterdessen erbittert weiter: Regierungstruppen und Regimegegner haben sich am Sonntag weiter blutige Gefechte in der syrischen Wirtschaftsmetropole geliefert. Der Aktivist Mohammed Said sprach von "schwerstem Beschuss", die Rebellen hielten aber ihre Stellung. "Bodentruppen konnten nicht eindringen. Sie schießen von außen", berichtete er über die Regierungsoffensive.

Besonders schwer seien die Angriffe in den Stadtteilen Salaheddine und Saif al Daula im Südwesten, erklärte Said. Die Gebiete wurden von den Rebellen in der vergangenen Woche erobert. Auch die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete schwere Gefechte und Explosionen in Aleppo.

Die Regierung erklärte, Sicherheitskräfte verfolgten in Salaheddine bewaffnete Gruppen. Die amtliche Nachrichtenagentur SANA zitierte einen Behördenvertreter in Aleppo mit den Worten, die Soldaten würden "die Terroristen" solange verfolgen, bis die Stadt von den Banden befreit und die Ruhe wiederhergestellt sei.

Die Aufständischen in Aleppo erhielten nach Angaben Saids eine weitere Lieferung von Waffen und Munition. Über die Herkunft wollte er keine Angaben machen. Die Rebellen halten nach Einschätzung von Beobachtern ein Drittel bis die Hälfte der Stadtviertel von Aleppo.

Arabische Liga will Zivilbevölkerung schützen

Angesichts der eskalierenden Kämpfe rang die internationale Gemeinschaft um ein Mandat zum Eingreifen und rief eindringlich zu einem Ende der Gewalt auf.

Die Arabische Liga teilte mit, sie wolle mit einer Resolution in der UN-Vollversammlung sichere Häfen für die Zivilbevölkerung erreichen. In einer Erklärung drückte sie ihre "tiefe Unzufriedenheit über die Akte der Unterdrückung" seitens des syrischen Regimes aus, insbesondere "den Einsatz schwerer Waffen gegen das eigene Volk". Sie appellierte an die Regierung in Damaskus, "den Kreislauf des Tötens und der Gewalt zu stoppen und die Belagerung syrischer Wohnviertel zu beenden".

Bundesaußenminister Guido Westerwelle warf dem Assad-Regime "verbrecherische Akte" vor und forderte den Machthaber auf, "seinen Posten zu räumen und das Land zu verlassen." Der FDP-Politiker äußerte in der Zeitung "Bild am Sonntag" außerdem seine Sorge über die Lage der Christen in Syrien.

Druck auf Russland und China

Der französische Staatspräsident François Hollande rief angesichts der Offensive und eines befürchteten Massakers an der Zivilbevölkerung Aleppos die UN-Vetomächte Russland und China zu einem Einlenken im Syrien-Konflikt auf. Moskau und Peking sollten berücksichtigen, dass "Chaos und Bürgerkrieg herrschen werden, wenn Baschar Assad nicht gestoppt wird", sagte Hollande am Samstag dem Fernsehsender iTele TV.

Die Vereinten Nationen müssten "so schnell wie möglich" handeln, denn Assad werde "bis zum Ende Gewalt anwenden". Russland und China legten bereits mehrfach ihr Veto gegen Resolutionen des Weltsicherheitsrats zu Syrien ein.

(APD/AFP)
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