Nach dem Erdbeben Italien gedenkt der Opfer — und diskutiert über Pfusch am Bau

Rom · Italien hat am Wochenende innegehalten und der Opfer der Katastrophe gedacht. Derweil untersuchen die Behörden, ob Pfusch am Bau für die hohen Opferzahlen mitverantwortlich ist.

Aufräumarbeiten in der Erdbebenregion gehen weiter
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In einer zur Kapelle umfunktionierten Turnhalle in der mittelitalienischen Stadt Ascoli Piceno nahmen Präsident Sergio Mattarella, Regierungschef Matteo Renzi und hunderte trauernde Angehörige an einer Gedenkfeier teil. Unterdessen häuften sich die Berichte über Pfusch am Bau als eine der Ursachen für die hohe Opferzahl.

"Habt keine Angst, euer Leid herauszuschreien, aber verliert nicht euren Mut", sagte der Bischof von Ascoli Piceno, Giovanni D'Ercole, am Samstag bei der Zeremonie in Ascoli Piceno unterhalb der zerstörten Bergdörfer. In der Halle standen 35 blumengeschmückte Särge von Erdbebenopfern aus den Dörfern Arquata und Pescara del Tronto.

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Darunter war auch der kleine weiße Sarg der neunjährigen Giulia. Sie hatte mit ihrem Körper ihre fünfjährige Schwester Giorgia geschützt, die als einer der letzten Menschen lebend aus den Trümmern in Pescara del Tronto gerettet worden war.

Staatschef Mattarella hatte am Morgen das Bergdorf Amatrice besucht. Allein dort waren bei dem Beben vom Mittwoch mindestens 230 Menschen ums Leben gekommen. Die Rettungskräfte begannen am Samstag damit, mit Baggern die Trümmer abzutragen - ein trauriges Zeichen dafür, dass sie drei Tage nach dem Beben nicht mehr mit Überlebenden rechneten.

Landesweit wehten die Flaggen auf Halbmast. Italiens Fernsehsender verzichteten auf Werbung und trugen Trauerflor. Das italienische Kulturministerium will die Eintrittsgelder sämtlicher Museen vom Sonntag für die Erdbebenregion spenden. Die Italiener wurden aufgerufen, aus Solidarität mit den Opfern massenweise in die Museen zu kommen.

Die Zahl der registrierten Toten stieg nach Angaben des Zivilschutzes auf 291, nachdem in Amatrice sechs weitere Leichen geborgen wurden und ein Verletzter starb. Fast 400 Menschen wurden seit Mittwoch mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.

Etwa 2500 Menschen wurden durch das Beben obdachlos. Sie müssen in einem der 49 Zeltlager oder in Notaufnahmezentren ausharren. Viele Betroffene fragen sich, wie und wann der Wiederaufbau vor sich gehen wird und ob sie bis zum Winter ein Dach über den Kopf haben werden. Sie erwarten außerdem, dass die Justiz Ermittlungen darüber vorantreibt, wie es zu derart vielen Toten in einer Region kommen konnte, die offiziell als Erdbeben-Risikogebiet ausgewiesen ist.

"Zunächst müssen uns die Experten sagen und erklären, wie die Bauten errichtet wurden und warum sie einstürzten. Danach werden wir die Verantwortlichen hinter den Trümmern suchen", sagte der Staatsanwalt der Region Rieti, Giuseppe Saieva, der Zeitung "La Stampa". Die Untersuchungen sollen mit den zerstörten öffentlichen Gebäuden in Amatrice beginnen: die erst 2012 für viel Geld renovierte Schule, das Krankenhaus, die Kaserne, das Theater. Ermittelt wird wegen fahrlässiger Tötung und "Verursachung einer Katastrophe".

In den Medien und in der Öffentlichkeit gab es unterdessen zunehmend Diskussionen über Pfusch am Bau, über Bauarbeiten ohne Genehmigung und Schummeleien bei der Bauabnahme. "Wäre so gebaut worden wie in Japan, wären die Gebäude nicht zusammengekracht", sagte Saieva "La Repubblica". Eine dreistöckige Villa in Amatrice sei beispielsweise augenscheinlich in "Billigbauweise" erstellt worden - "mit mehr Sand als Zement".

Das Erdbeben der Stärke 6,0 bis 6,2 hatte Mittelitalien am frühen Mittwochmorgen erschüttert und die meisten Menschen im Schlaf überrascht. Seitdem gab es mehr als 1800 Nachbeben, mehrere davon mit der Stärke vier oder fünf. Die Arbeit der Rettungs- und Bergungskräfte wird dadurch erheblich erschwert.

(das/AFP)
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