Justiz-Skandal Japaner wartete 48 Jahre auf den Tod - und kam frei

Tokio · Es ist einer der erschütterndsten Fälle in der japanischen Justizgeschichte. Fast 48 Jahre sitzt ein Mann wegen Mordes in der Todeszelle - wohl ein Fehlurteil. Der 78-Jährige ist plötzlich frei. Doch die ständige Angst vor dem Tod hat ihn schwer gezeichnet.

Iwao Hakamada - 48 Jahre unschuldig in der Todeszelle
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Iwao Hakamada - 48 Jahre unschuldig in der Todeszelle

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Mehr als 47 Jahre musste Iwao Hakamada täglich mit der Angst leben, hingerichtet zu werden. Der inzwischen 78 Jahre alte Berufsboxer war 1968 wegen der Ermordung einer vierköpfigen Familie zum Tode am Galgen verurteilt worden. Japan ist eines der wenigen Industrieländer, in denen die Todesstrafe noch vollstreckt wird.

Vor wenigen Wochen kam Hakamada frei. Es gab massive Zweifel an der Schuld, die letztendlich dazu geführt hatten, den schwer gezeichneten Mann aus der Haft zu entlassen. Anlass der Freilassung waren DNA-Tests, die die Unschuld von Hakamada vermuten ließen. Der Vorsitzende Richter setzte die Todesstrafe für Hakamada aus. Die Staatsanwaltschaft legte Einspruch ein.

"Nach 47 Jahren bleibt niemand gesund"

Dennoch durfte der gebeugte alte Mann das Gefängnis noch am selben Tag verlassen - in Begleitung seiner 81-jährigen Schwester, die für ihn gekämpft hatte. "Wenn jemand 47 Jahre lang eingesperrt wird, kann niemand erwarten, dass er gesund bleibt", sagte Hakamadas Schwester.

Der Fall war durch alle Instanzen gegangen. Letztlich saß er so lange in der Todeszelle wie weltweit wohl kein anderer Häftling. Japan ist eines der wenigen Industrieländer, in denen die Todesstrafe noch vollstreckt wird. Menschenrechtsorganisationen und auch die EU fordern Tokio immer wieder auf, die Exekutionen zu beenden. Japans Regierungen berufen sich seit langem auf Umfragen, wonach sich ein Großteil der Bevölkerung angeblich für Todesstrafen bei besonders brutalen Mordfällen ausspricht.

"Die japanischen Behörden sollten sich für die barbarische Behandlung, die Hakamada erhielt, schämen", hatte Roseann Rife von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International nach der Freilassung erklärt.

Verhaftung im Jahr 1966

Hakamada war 1966 verhaftet worden. Dem damaligen Mitarbeiter einer Sojafabrik wurden Mord, Raub und Brandstiftung vorgeworfen, nachdem im abgebrannten Haus seines Chefs vier Leichen - die des Chefs, seiner Frau und zweier Kinder - mit Stichwunden gefunden worden waren.

Nach einem 20 Tage langen Polizeiverhör legte Hakamada ein vermeintliches Geständnis ab, das er zum Auftakt seines Prozess jedoch widerrief. Die Beamten hätten ihn geschlagen und ihm gedroht. Nach Angaben seiner Verteidiger stimmten zudem DNA-Analysen bei späteren forensischen Untersuchungen nicht mit Proben auf Kleidungsstücken überein, die Hakamada getragen haben soll.

Diese DNA-Ergebnisse erkannte das Gericht nun an. Zugleich deutete der Vorsitzende Richter laut Medienberichten an, dass die Ermittler die vermeintlichen Beweise gefälscht haben könnten. Es ist erst das sechste Mal in der Nachkriegsgeschichte Japans, dass ein Gericht der Wiederaufnahme des Falls eines Häftlings zugestimmt hat, dessen Todesstrafe bereits rechtskräftig verhängt wurde. In vier der fünf vorherigen Fälle waren die Verurteilten freigesprochen worden.

Umstrittenes Rechtssystem in Japan

Wie die meisten zum Tode Verurteilte lebte Hakamada die meiste Zeit in Einzelhaft und in permanenter Angst, dass es jeden Tag soweit sein könnte. Denn der Zeitpunkt der Hinrichtung wird den Todeskandidaten in Japan nicht mitgeteilt. Erst wenige Minuten vor ihrer Hinrichtung wird den Gefangenen gesagt, dass sie sterben werden.

Die Angehörigen erfahren von den Hinrichtungen erst im Nachhinein. Viele Todeskandidaten treibt die ständige Angst in den Wahnsinn. Auch der mentale Zustand des inzwischen 78-jährigen Hakamada soll sich als Folge der jahrzehntelangen Isolationshaft verschlechtert haben. Sein Sohn wurde nach japanischen Fernsehberichten von Freunden aufgezogen.

Hakamada und seine Verteidiger hatten 1981 erstmals ein Neuverfahren gegen die ein Jahr zuvor vom Obersten Gerichtshof abschließend bestätigte Todesstrafe beantragt. 2008 wurde dies vom Obersten Gerichtshof abgewiesen. Daraufhin stellte Hakamadas 81 Jahre alte Schwester Hideko einen erneuten Antrag - letztlich erfolgreich.

(rpo/dpa/afp)
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