Flüchtlingsdrama Kapitän von untergegangenem Flüchtlingsschiff festgenommen

Catania · Während die Staatsanwaltschaft die Ursachen der Flüchtlingskatastrophe vom Wochenende ermittelt, geraten weitere Boote in Seenot. Die EU denkt über Schritte zur Eindämmung der Zuwanderungswelle nach.

Nach der jüngsten Flüchtlingskatastrophe vor Libyen mit Hunderten Toten haben italienische Ermittler den Kapitän und ein weiteres Besatzungsmitglied festgenommen. Das teilte Staatsanwalt Rocco Liguori in der Nacht zu Dienstag mit. Auch präsentierten die Ermittler neue Erkenntnisse zur Unglücksursache. Die EU beschloss erste Maßnahmen, um ähnliche Katastrophen künftig zu verhindern. Australiens Regierungschef Tony Abbott empfahl sein Land als Vorbild in der Flüchtlingspolitik.

Liguori sagte, dem Kapitän des Unglücksschiffes - einem 27-jährigen Tunesier - werde fahrlässige Tötung in mehreren 100 Fällen vorgeworfen. Gemeinsam mit dem zweiten Verdächtigen werde ihm darüber hinaus Begünstigung illegaler Einwanderung zur Last gelegt. Er hatte mit seinem Schiff nach Erkenntnissen der Ermittler unbeabsichtigt einen portugiesischen Frachter gerammt. Dadurch habe das Boot Schlagseite bekommen. Anschließend seien die Flüchtlinge auf die tieferliegende Seite des Havaristen geeilt, so dass das Boot gekentert sei.

Wie viele Menschen auf dem Schiff waren, ist immer noch unklar. Die wenigen Überlebenden wurden ins sizilianische Catania gebracht. Die Staatsanwaltschaft erklärte, sie hätten von 400 bis 950 Menschen an Bord berichtet. Ein Sprecher der Internationalen Organisation für Migration erklärte, ihm gegenüber hätten Überlebende von 800 Passagieren gesprochen.

Der Sprecher des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge sagte, er gehe von mehr als 800 Toten aus. Damit sei der Untergang die schlimmste Katastrophe dieser Art im Mittelmeer. Etwa 350 Menschen an Bord des Unglücksschiffes stammten aus Eritrea. Die Übrigen seien unter anderem aus Syrien, Somalia, Sierra Leone, Mali, Senegal, Gambia, der Elfenbeinküste, Äthiopien und Bangladesch gekommen.

Die EU berief für Donnerstag einen Krisengipfel nach Brüssel ein. Auf der Agenda soll vor allem der Kampf gegen Menschenhändler stehen. Die Außen- und Innenminister der Union beschlossen am Montagabend einen Zehn-Punkte-Plan, demzufolge die Patrouillen im Mittelmeer verstärkt und ausgeweitet werden sollen. Außerdem sollen Schmugglerboote systematisch beschlagnahmt und zerstört werden.

Ein Sprecher der international anerkannten Regierung Libyens sagte, das politische Chaos in seinem Land erleichtere den Schmugglern das Geschäft. Diese nähmen sehr viel Geld ein, in dem sie Flüchtlinge über Libyen in Richtung Europa schleusten. Einiges davon lande in den Händen von Terrororganisationen.

Abbott drängte die EU zu schärferen Grenzkontrollen. Der jüngste Vorfall sei eine "schreckliche, schreckliche Tragödie", erklärte er. Damit sich so etwas nicht wiederhole, sollte Europa dem Beispiel Australiens folgen.

Abbotts Regierung weist Bootsflüchtlinge strikt ab. Die Migranten werden in der Regel nach Indonesien zurückgeschickt, von wo die meisten die Überfahrt wagen. Flüchtlinge, die es dennoch auf australisches Gebiet schaffen, werden in Lagern in den Pazifiknationen Nauru und Papua-Neuguinea interniert. Seit kurzem haben die Migranten auch die Option, sich in Kambodscha anzusiedeln. Menschenrechtsgruppen werfen Australien Verstöße gegen die UN-Flüchtlingskonvention vor.

In Italien gingen die Landungsversuche in oft kaum seetüchtigen Booten unvermindert weiter. Die italienische Küstenwache teilte mit, sie habe allein am Montag bei sechs Noteinsätzen 638 Flüchtlinge gerettet. Am Dienstag habe sie weitere 446 Menschen aus einem leckgeschlagenen Boot vor der kalabrischen Küste geholt. In Griechenland retteten die Behörden 126 illegale Zuwanderer aus drei Booten.

(ap)
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