UN-Kriegsverbrechertribunal Karadzic boykottiert Auftakt seines Prozesses

Den Haag (RPO). Am Montag ist der UN-Kriegsverbrecherprozess um den früheren Serbenführer Radovan Karadzic gestartet - doch ohne den Angeklagten. Zur Enttäuschung der Hinterbliebenen des Bosnien-Krieges hat der Karadzic den Auftakt boykottiert und will das auch weiterhin tun.

Das ist Radovan Karadzic
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Richter O-Gon Kwon aus Südkorea drohte Karadzic bei anhaltendem Widerstand mit Zwangsmaßnahmen. Ungeachtet dessen kündigte Karadzics Anwalt an, dieser werde auch am Dienstag nicht erscheinen und forderte erneut mehr Vorbereitungszeit.

"Wir sind 2000 Kilometer angereist und haben 15 Jahre gewartet - und nun wird der Prozess vertagt", sagte eine Bosnierin am Montag in Den Haag. Am Wochenende hatten sich rund 160 Überlebende des Bosnienkriegs (1992-1995) nach Den Haag aufgemacht, um dem Prozess beizuwohnen.

Richter O-Gon sagte, wenn Karadzic den Fortgang des Prozesses dauerhaft behindere, "können entsprechende Maßnahmen ergriffen werden". Zunächst ordnete er jedoch eine Vertagung auf Dienstag 14. 15 Uhr an. Karadzic, der sich wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss, hatte angekündigt, die Eröffnung zu boykottieren. Auch seine Rechtsvertreter erschienen nicht. Sollte das Gericht einen Pflichtverteidiger einsetzen, müssten diesem Monate zum Aktenstudium eingeräumt werden. Karadzic will sich jedoch grundsätzlich selbst verteidigen.

Karadzics Rechtsbeistand Marco Sladojevic sagte AFP, der Angeklagte werde auch am Dienstag nicht vor Gericht erscheinen. "Er will seinen Prozess weder verhindern noch boykottieren", sagte Sladojevic nach einem Treffen mit Karadzic im Untersuchungsgefängnis des Tribunals. "Er möchte nur mehr Zeit, um sich vorzubereiten." Vergangene Nacht habe Karadzic "bis fünf Uhr morgens" gearbeitet. Karadzic hatte vergeblich beantragt, zehn weitere Monate für die Vorbereitung seiner Verteidigung zu erhalten. Der Angeklagte werde seine Ansichten wohl kaum ändern, sagte Sladojevic.

Das Gericht kann die Anklageschrift auch in Abwesenheit des 64-Jährigen verlesen lassen. Es gebe "keinen Grund, den Prozess nicht zu eröffnen", sagte die deutsche Staatsanwältin Hildegard Uertz-Retzlaff, die zu den Vertretern der Anklage gehört.

Auf die Entscheidung O-Gons, das Verfahren zunächst zu vertagen, reagierten 30 Mütter von Opfern des Bosnien-Kriegs, die eigens nach Den Haag angereist waren, mit Zornausbrüchen. "Wir wollen, dass Karadzic verurteilt wird", sagte Bakira Hasecic, die nach eigenen Angaben während des Krieges mehrfach vergewaltigt wurde.

Die Anklageschrift gegen Karadzic umfasst elf Punkte. Im Mittelpunkt steht das Massaker von Srebrenica, bei dem rund 8000 muslimische Jungen und Männer getötet wurden. Die Klagen beziehen sich auch auf die mehrjährige Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, während der rund 10.000 Menschen ums Leben kamen. Die Prozessakten enthalten knapp eine Million Seiten Beweismaterial und hunderte Zeugenaussagen.

Karadzic war im Juli 2008 nach einem 13 Jahre langen Versteckspiel in Belgrad gefasst worden. Nur noch zwei vom Haager UN-Tribunal angeklagte mutmaßliche Kriegsverbrecher sind flüchtig. Der bosnisch-serbische Ex-General Ratko Mladic, damals Karadzics rechte Hand, ist der einzige der 19 mutmaßlichen Haupttäter von Srebrenica, der noch nicht gefasst ist. Ebenfalls flüchtig ist der ehemalige Präsident der selbst ernannten serbischen Republik Krajina in Kroatien, Goran Hadzic.

(AFP/jt)
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