Erdbeben in Nepal Das Ausmaß der Not lässt die Retter verzweifeln

Kathmandu · Während sich in Nepals Hauptstadt Kathmandu zaghaft ein wenig Normalität einstellt, sterben in den Bergdörfern Menschen, weil die Retter nicht zu ihnen durchdringen können. Mehr als 7000 Tote wurden bisher geborgen.

Nepal: Weltkulturerbe, Tempel und Paläste zerstört
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Zerstörte Tempel und Paläste in Nepal

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Foto: ap, BA RSI

Nach dem schweren Erdbeben in Nepal gibt es weiter Probleme bei den Hilfslieferungen. Der Flughafen von Kathmandu wurde am Sonntag wegen Schäden an der einzigen Start- und Landebahn für große Militär- und Frachtmaschinen geschlossen. Die Bahn sei nur für mittelgroße Jets gebaut und es gebe Informationen über Löcher durch die großen Flugzeuge mit Hilfslieferungen, sagte Flughafenmanager Birendra Shrestha. Nepal bat die Spender, kleinere Maschinen zu nutzen.

Der indische Staat Westbengalen kündigte am Sonntag an, 100.000 Zelte für die Erdbebenopfer im Nachbarland zu schicken. Diese sollen am Montag vom Regierungschef des indischen Staats Westbengalen übergeben werden, teilte der nepalesische Konsularbeamte Surendra Thapa in Kolkata mit.

Hubschrauber kreisen indes über den verwüsteten Dörfern. Von unten winken Menschen hoch, im Glauben, die Rettung sei nah. Doch das Gelände ist vielerorts so bergig, dass die Piloten umkehren müssen. "Es ist unklar, wie viele dort schwer verletzt sind. Wir können nicht landen, um sie zu retten. Sie werden sterben, während sie auf Hilfe warten", sagt Kapitän Naresh Khadka, der die Rettungsflüge von Indiens Luftwaffe im nepalesischen Bezirk Barpak leitet, der "Times of India". "Es ist traurig, wenn Retter die Menschen nicht erreichen können."

Während in Nepals Hauptstadt Kathmandu die ersten Menschen in ihre Häuser zurückkehren, Geschäfte, Bäckereien, Banken und Tankstellen öffnen und sich zaghaft ein wenig Normalität einstellt, kämpfen die Bewohner vieler Dörfer weiter ums Überleben. Knapp eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben in dem Himalaya-Staat sind Tausende Menschen noch abgeschnitten und auf sich gestellt.

Erdbeben in Nepal: Mount-Everest-Basislager verschüttet
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Erdbeben in Nepal: Mount-Everest-Basislager verschüttet

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Foto: afp, ras/fk

Besonders schlimm ist die Lage um das Epizentrum in den Regionen Gorkha, Barpak und Sindhupalchowk. Städte und Dörfer dort seien fast "komplett zerstört", berichtet das Rote Kreuz. Die Lage sei verzweifelt. In Chautara, der Hauptstadt von Sindhupalchok, seien 90 Prozent aller Menschen obdachlos. "Das Hospital ist eingestürzt", so das Rote Kreuz. "In vielen anderen Orten, die wir noch nicht erreicht haben, dürfte die Lage ähnlich, wenn nicht schlimmer sein."

Weiter verbreiten Nachbeben Angst. Gestern erschütterte ein neues Beben der Stärke 5,1 auf der Richterskala die indischen Andamanen und Nicobaren. Berichte über Opfer gab es zunächst nicht. Nur quälend langsam erreichen Hilfsgüter Nepals Dörfer. In Sindhupalchowk attackierten laut Medien erboste Bewohner einen Hilfskonvoi und raubten Container. "Wir sind keine Räuber, aber was sollen wir tun? Unsere Kinder schreien den ganzen Tag. Sie frieren und haben keine Milch", zitiert die "Times of India" einen der Angreifer. Es fehlt zudem an Toiletten und Wasser.

Die Retter verzweifeln. Jede Stunde zählt. Doch es kann noch Tage dauern, bis Hilfe die Verletzten und Hungrigen in den entlegenen Dörfern erreicht. Es mangelt an Fahrzeugen und Hubschraubern. Immer wieder stoppt Regen die Rettung. Die Hilfskonvois kommen auf den holperigen, schlammigen Straßen kaum voran. Erdrutsche blockieren Wege, viele Dörfer sind nur per Fuß erreichbar. Immer wieder müssen auch die wenigen Helikopter wegen heftiger Regengüsse ihre Hilfsflüge unterbrechen.

Über 7000 Leichen wurden bisher geborgen. "Wir glauben, dass 10.000 bis 15.000 Menschen getötet wurden", sagte Armeechef Garauv Rana NBC News. "Es gibt Unruhen und die Gefahr von Epidemien." Laut UN brauchen 3,5 Millionen Menschen akute Nahrungshilfe und 2,8 Millionen sind obdachlos. 600.000 Häuser wurden beschädigt, 70 000 ganz zerstört.

Die Leichenhallen bersten über, Tote liegen aufgereiht an den Straßen. Der Gestank verwesender Körper macht den Menschen zu schaffen, die Angst vor Seuchen wächst. Die Regierung hat angeordnet, dass Tote sofort eingeäschert werden. Doch die Bestattungsstätten kommen nicht hinterher. Verletzte warten in langen Schlangen vor Zelten, in denen Ärzte provisorisch Erste Hilfe leisten. "Wir behandeln 500 bis 600 Leute am Tag", erzählt der Arzt Nikee Shrestha aus Chautara der "Hindustan Times". "Wir brauchen Wasser, Essen und Antibiotika."

Auch das Schicksal vieler Ausländer ist noch unklar. Wie Medien unter Berufung auf die EU berichteten, sollen sich noch 9000 Europäer im Land aufhalten. 1000 von ihnen seien noch nicht lokalisiert. So bangen etwa die Familien zweier verschollener Nepal-Urlauberinnen noch immer um die jungen Frauen. Die 20-jährige Leonie und ihre Freundin Nina wollten zu einer Wanderung ins Langtang-Tal, das vom Erdbeben stark betroffen ist. Über Facebook und Twitter verfolgen die Eltern die aktuellen Nachrichten. Informationen gibt es bisher keine.

In Kathmandu sind noch nicht alle Toten geborgen, Hunderttausende hatten aus Angst vor Seuchen in den vergangenen Tagen die Hauptstadt verlassen. Unter Jubelschreien der Umstehenden konnten Rettungsteams am Donnerstag einen Teenager und eine junge Frau lebend aus den Trümmern befreien. Doch mit jeder Stunde sinken die Chancen, weitere Überlebende zu finden. Nepal hat bereits gebeten, keine neuen Suchteams mehr zu schicken. Nepals Finanzminister Ram Sharan Mahat sagte, das Land werde mindestens zwei Milliarden Dollar brauchen, um die zerstörten Gebäude wiederaufzubauen. Experten rechnen sogar mit noch höheren Summen.

(RP)
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