Die versteckte Tochter Rosemary Kennedy-Neffe schreibt über das Geheimnis seiner Familie

Düsseldorf · John F. Kennedys Schwester Rosemary verbrachte 63 Jahre ihres Lebens in einem Pflegeheim. Als sie 23 Jahre alt war, hatte ihr Vater versucht, die geistig offenbar leicht behinderte junge Frau mit einer riskanten Gehirn-OP "behandeln" zu lassen - mit furchtbaren Folgen. Viele Jahre lang war das Schicksal der Rosemary Kennedy in der berühmten Familie ein Tabuthema. Jetzt hat ihr Neffe Timothy Shriver erstmals über ihr Schicksal geschrieben.

 Joseph und Rose Kennedy mit ihren Kindern. In der vorderen Reihe rechts ist Rosemary zu sehen, der große Junge links hinten im weißen Hemd ist John F. Kennedy.

Joseph und Rose Kennedy mit ihren Kindern. In der vorderen Reihe rechts ist Rosemary zu sehen, der große Junge links hinten im weißen Hemd ist John F. Kennedy.

Foto: Photograph by Richard Sears in the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston

Rosemary Kennedy ist das wohl bekannteste Opfer einer Operationsmethode, die heute brutal und archaisch wirkt: der Lobotomie. Dabei wurde ein längliches Messer in den vorderen Schädel eingeführt und so lange geschwenkt, bis die Nerven zwischen dem Stirnlappen und dem Inneren des Gehirns zertrennt waren.

Der Erfinder der Operationsmethode, der Portugiese Egas Moniz, war davon überzeugt, dass sich auf diese Weise seelische Krankheiten wie Depressionen oder Zwangserkrankungen heilen ließen. Psychopharmaka gab es damals noch nicht. Für die Wirksamkeit der Methode gab es nie objektive Belege. Trotzdem fand sie viele Anhänger, besonders in den USA. Dem Erfinder Moniz wurde 1949 für seine Erfindung sogar der Nobelpreis verliehen.

Viele Patienten wirkten nach dem Eingriff nicht nur ruhiger, sondern völlig abgestumpft, apathisch, ihre Gefühle waren auf Eis gelegt. Sie ließen sich deshalb einfacher betreuen und fielen in einer Zeit, in dem psychische Krankheiten für viele als Schande galten, weniger negativ auf.

Von den 1930er bis in die 1960er Jahre wurde die Operation allein in den USA zehntausendfach durchgeführt. An ihrer Beliebtheit konnten auch Berichte über Todesfälle nichts ändern. Anfang der 1940er Jahre entwickelten der Psychiater Walter Freeman und der Neurochirurg James Winston Watts eine Methode, die ein einzelner Operateur in seinem Untersuchungszimmer im Akkord durchführen konnte: Eine Art Eispickel wurde oberhalb der Augenhöhle eingeführt. An dieser Stelle genügte ein leichter Schlag auf das Instrument, um bis ins Innere das Schädels vorzudringen. Freeman ging mit der Operationsmethode sogar auf Tournee, führte den Eingriff in Hörsälen und Krankenhäusern im ganzen Land durch.

1941 entschied sich John F. Kennedys Vater Joseph P. Kennedy, seine damals 23-jährige Tochter Rosemary lobotomieren zu lassen. Die junge Frau litt an einer Art Lernschwäche, hatte aber immerhin einen Abschluss in Montessori-Pädagogik geschafft. Rosemary war eine lebenslustige junge Frau, galt aber als wild, eigensinnig und schwer zu bändigen, riss nachts aus. Im erfolgreichen Kennedy-Clan war sie damit ein Außenseiter, außerdem, so vermuten Historiker, sollen ihre Eltern befürchtet haben, dass sie unverheiratet schwanger werden und die katholische Familie damit in Misskredit bringen könnte.

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Foto: dpa, epa Cecil Stoughton

Bei Rosemary Kennedy ging die Lobotomie fürchterlich schief: Die 23-Jährige fiel auf den geistigen Stand eines Kleinkindes zurück, konnte nicht mehr richtig sprechen, war teilweise auf den Rollstuhl angewiesen. Die Familie brachte sie in eine geschlossene Heilanstalt. Rosemary und ihr Schicksal wurden in der Familie zum Tabu, ihr Vater soll Wutanfälle gehabt haben, wann immer ihn jemand auf seine Tochter ansprach. Bis zu ihrem Tod mit 86 Jahren lebte John F. Kennedys Schwester im einem geschlossenen Heim. Ihr Vater besuchte sie dort kein einziges Mal.

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Für ihre jüngere Schwester Eunice war Rosemarys Schicksal der Anstoß, sich für das Schicksal von behinderten Menschen zu engagieren. Sie gründete unter anderem 1968 die Special-Olympics-Bewegung. Ihr Sohn Timothy Shriver, der die Nachfolge seiner 2009 verstorbenen Mutter als Vorsitzender der Special Olympics angetreten hat, schriebt jetzt in seinem neuen Buch "Fully Alive" erstmals über seine Tante Rosemary. In dem Buch schildert er die Lebensgeschichten von behinderten Menschen, die ihn inspiriert haben. Eine davon ist die von Rosemary Kennedy.

Shriver glaubt, dass sein Großvater Joseph seine Tochter nie wieder besuchte und ihre Existenz verdrängte, weil er mit seiner Schuld nicht leben konnte. "Es muss ihn zerstört haben. Nur so kann ich es mir erklären. Es ist eine unglaublich herzzerreißende Geschichte über einen Vater, der seiner Tochter helfen will und sie dabei verletzt. Was könnte schlimmer sein?", sagte Shriver dem US-Magazin "People", das Teile des Buchs abdruckte.

"Die Schande ihrer Behinderung war unser Familiengeheimnis", sagt Shriver. "Sie wuchs in einer Zeit auf, als Kinder mit besonderen Anforderungen von enormem Scham umgeben waren. Die Leute wollten es nicht zugeben."

Seiner Ehefrau Rose hatte Joseph Kennedy nicht gesagt, dass er an ihrer Tochter eine Lobotomie vornehmen ließ. Sie erfuhr erst davon, als es zu spät war.

(jco)
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