Besuch in einem Kinderkrankenhaus in Bethlehem "Hier darf man nicht krank werden"

Im Caritas Baby Hospital in Bethlehem werden alle Kinder behandelt, egal welche Religion ihre Familien haben und ob sie arm oder reich sind. Doch das Krankenhaus arbeitet unter erschwerten Bedingungen direkt im Schatten der Mauer, die Israel und Palästina trennt.

 Dr. Hiyam untersucht ein Kleinkind in der Ambulanz des Kinderkrankenhauses in Bethlehem.

Dr. Hiyam untersucht ein Kleinkind in der Ambulanz des Kinderkrankenhauses in Bethlehem.

Foto: heif

Keine Krankenwagen, die mit Sirene auf das Gelände fahren, kein großer Besucherparkplatz, nur ein sorgfältig gewässerter grüner Rasen und ein Kinderspielplatz, auf dem kein einziges Kind zu sehen ist, empfangen Patienten, die in das Caritas Baby Hospital in Bethlehem wollen. Drinnen sitzen Eltern und halten Säuglinge in Decken gewickelt eng an sich gepresst im Wartezimmer der Ambulanz.

Das Krankenhaus soll eine Ort der Ruhe und des Friedens in politisch schwierigen Zeiten sein, rund um Bethlehem gibt es zahlreiche jüdische Siedlungen, die stetig wachsen und die Stadt mehr und mehr isolieren. Die politischen und religiösen Konflikte müssen draußen bleiben, drinnen zählt nur das Wohl der Kinder.

Dr. Hiyam Marzouqa leitet das Krankenhaus, sie wird von Patienten und Kollegen nur Dr. Hiyam genannt. Die 54-Jährige eilt in schwarzen Pumps und akkurat frisierten schwarzen kurzen Haaren über den Gang, von dem die Behandlungszimmer der Ambulanz abgehen. Sie tippt einen Sicherheitscode in eine kleine Tastatur an der Wand, dann öffnet sich die Tür zu den Stationen. Jede Station hat eine eigene Wandfarbe, die Neugeborenenstation ist rosa. Eine junge Frau mit Kopftuch hält ihr Kind auf dem Arm und wiegt es, eine andere sitzt an einem Bettchen und gibt ihrem Kind die Brust.

Eine Etage über der Neugeborenenstation, liegen die hoffnungslosen Fälle auf der Intensivstation. Dr. Hiyam stoppt kurz an einem Waschbecken, um sich die Hände zu waschen und zu desinfizieren, dann geht sie zu einer Scheibe.

Dahinter liegt die vier Monate alte Aishe und atmet. Dass sie atmet, ist ein kleines Wunder. Sie ist intubiert, ein dünner Luftschlauch führt zu einer piependen Maschine, keiner der Ärzte in der Kinderklinik traut sich, den Schlauch zu entfernen. Denn Aishe hat einen Herzfehler. Sie wird nie wieder alleine atmen können. Aber solange sie hier in ihrem viel zu großen Kinderbett liegt, lebt sie noch.

Die Eltern fuhren mit dem Bus ins Krankenhaus

"Ihre Eltern kamen eines Tages ins Krankenhaus, weil ihre Tochter plötzlich blau anlief", erzählt Dr. Hiyam. "Also nahmen die Eltern ihr Kind und fuhren mit dem Bus ins Krankenhaus. Das hat solange gedauert, bis es fast zu spät war. Denn Aishe brauchte Sauerstoff." Jetzt liegt Aishe hinter der Glasscheibe und wartet auf den Tod.

Wäre die Mutter während ihrer Schwangerschaft zu einer Untersuchung gekommen, hätte man den Herzfehler ihres Kindes feststellen können, doch das kostet Geld. "Hier darf man nicht krank werden", sagt Dr. Hiyam. Denn die medizinische Versorgung in den Palästinensergebieten ist schlecht, die Wege zur nächsten Klinik sind weit.

Das Caritas Baby Hospital in Bethlehem ist das einzige Kinderkrankenhaus im Westjordanland. Das Krankenhaus steht keine 500 Meter hinter der Mauer, die Israel und Palästina trennt. Palästinenser können die Mauer nur mit einer Genehmigung der israelischen Armee durchqueren. Wer die nicht hat, muss teilweise sehr lange Umwege auf sich nehmen, um etwa von Ramallah im Norden nach Bethlehem im Süden des Westjordanlandes zu gelangen. Das ist schwer — für Ärzte und Patienten. Das Krankenhaus wird christlich geführt und liegt in den christlich geprägten Gebieten des Westjordanlandes.

"Wir sind hier nicht nur Ärzte, sondern auch Sozialarbeiter", sagt Dr. Hiyam. Sie ist Palästinenserin und hat in Würzburg Kindermedizin studiert. Nach ihrem Studium ist sie nach Bethlehem zurück gekehrt, wie viele andere gut ausgebildete Palästinenserinnen auch. Palästinensische Männer, die im Ausland studiert haben, kommen häufig nicht wieder.

82 Betten hat das Krankenhaus

Das Krankenhaus behandelt alle Kinder von Neugeborenen bis 16-Jährigen, egal ob Christen oder Muslime, arm oder reich. 82 Betten bietet das Krankenhaus für die stationäre Behandlung. Das Krankenhaus hat 2015 rund 4600 Kinder aufgenommen und 35.311 ambulant behandelt. "Die Eltern zahlen nur symbolische Beiträge", sagt Dr. Hiyam. Umgerechnet zehn Euro koste es, wenn man sein Kind in die Ambulanz bringt, rund 25 Euro, wenn das Kind stationär behandelt wird. "Das sind Summen, die sich alle leisten können."

Das Haus wurde 1952 von einem Pater aus der Scheiz gegründet. Es ist komplett spendenfinanziert. Im vergangenen Jahr wurden 9,75 Millionen Euro Spenden gesammelt, die größten Summen stammen aus der Schweiz und Deutschland. 9,15 Millionen Euro hat der Betrieb des Krankenhauses gekostet. Viel finanziellen Spielraum gibt es also nicht, um die medizinische Versorgung zu verbessern.

Mit 230 Angestellten ist das Hospital gleichzeitig der zweitgrößte Arbeitgeber in Bethlehem nach der Universität. Auch hier nimmt das Krankenhaus seine soziale Verantwortung in den wirtschaftlich zurückgebliebenen Palästinensergebieten sehr ernst.

Erbkrankheiten kommen häufiger als in Europa vor

50 Prozent der Bevölkerung im Westjordanland sind unter 14 Jahre alt, es gibt also mehr als genug zu tun für das Kinderkrankenhaus. "Eine palästinensische Familie bekommt durchschnittlich fünf bis sechs Kinder", erklärt Dr. Hiyam. Die meisten Babies und Kleinkinder kommen mit Erkältungen, Husten, Schnupfen oder Magen-Darm-Erkrankungen.

Häufig kommen aber auch Erbkrankheiten vor. Denn Palästinenser heiraten auch Cousinen oder Cousins und zeugen Kinder. "Solche Krankheitsbilder gibt es in Europa fast gar nicht", erklärt Dr. Hiyam. Für sie war immer klar, dass sie nach dem Studium im Kinderkrankenhaus arbeiten will. Seit 26 Jahren ist sie nun hier, erst als Assistenzärztin, dann als leitende Ärztin.

Und wenn es nach ihr geht, soll das Krankenhaus weiter wachsen, noch mehr Kindern helfen. Eines Tages könnten hier auch Herzoperationen möglich sein, die dann vielleicht auch Kindern wie Aishe das Leben retten.

(heif)
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