Flüchtlingdrama Offenbar erneut 300 Flüchtlinge vor Lampedusa ertrunken

Rom · Nach einem weiteren Bootsunglück vor der libyschen Küste sind im Mittelmeer womöglich mehr als 300 Flüchtlinge ertrunken. Sie waren offenbar auf dem Weg zur italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa. Die Polizei hat schon eine Theorie zum Unglückshergang

 Beamte der Spurensicherung untersuchen das Flüchtlingsboot in Lampedusa.

Beamte der Spurensicherung untersuchen das Flüchtlingsboot in Lampedusa.

Foto: dpa, dc sh

Bei einer neuen Flüchtlingstragödie im Mittelmeer sind weit mehr Menschen gestorben als anfangs angenommen. Wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Mittwoch unter Berufung auf Überlebende mitteilten, wurden mehr als 300 Todesopfer befürchtet. Die EU-Kommission forderte die Mitgliedstaaten auf, mehr für den Flüchtlingsschutz zu unternehmen.

Nach IOM- und UNHCR-Angaben starteten am Samstag nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis insgesamt vier Schlauchboote mit jeweils mehr als hundert Flüchtlingen aus Afrika südlich der Sahara. Vermutlich am Montag seien sie dann gekentert, sagte der IOM-Sprecher für Italien, Flavio Di Giacomo. "Zu Beginn waren sie etwa 420, deshalb dürfte die Zahl der Opfer bei etwa 330 liegen", fügte er hinzu.

Ein erstes Boote hatte die italienische Küstenwache am Montagmorgen in stürmischer See aufgebracht. Von den Passagieren starben 29 an Erfrierungen, 22 davon an Bord des Patrouillenboots auf dem Weg zur italienischen Insel Lampedusa. Ärzte, die an der Rettungsaktion beteiligt waren, warfen den italienischen Behörden vor, dass bei Entsendung eines größeren Marineschiffs viele Menschen hätten gerettet werden können.

Den Berichten der Überlebenden zufolge kenterte ein zweites Boot, ein drittes verlor Luft und sank. Mehr als 200 Menschen, die auf diesen Booten waren, ertranken demnach. Das UNHCR und die IOM befürchteten, dass auch das vierte noch vermisste Boot mit etwa hundert Menschen an Bord im Sturm sank.

Der UNHCR-Sprecher für Europa, Vincent Cochetel, sprach von einer "Tragödie enormem Ausmaßes". Diese Leben zu retten, müsse "oberste Priorität" haben. Europa könne sich "nicht erlauben, zu wenig und zu spät zu handeln". UNHCR und IOM übten zudem heftige Kritik an "skrupellosen Menschenhändlern". Diese hätten die Flüchtlinge ungeachtet des schlechten Wetters mit acht Meter hohen Wellen und Windgeschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern mit vorgehaltenen Pistolen in die Boote gezwungen.

EU-Kommissionssprecherin Natasha Bertaud sagte am Mittwochabend in Brüssel, beim Flüchtlingsschutz müssten Kommission und Mitgliedsländer besser zusammenarbeiten. Die entsprechenden Hilfsgelder müssten aufgestockt werden. Das Budget für die EU-Grenzagentur Frontex in Höhe von 2,9 Millionen Euro im Jahr reiche dafür nicht aus.

Das neuerliche Flüchtlingsdesaster verdeutlicht ein Mal mehr die Grenzen der EU-Mission Triton. Bis zum vergangenen November hatte die italienische Marine mit ihrer Aktion Mare Nostrum tausende Schiffbrüchige zum Teil schon vor der libyschen Küste aufgegriffen. Nachdem sich die EU-Partner nicht substanziell an den Kosten von monatlich neun Millionen Euro beteiligen wollten, stellte Rom die Aktion ein. Die Triton-Patrouillen sind weitgehend auf die EU-Gewässer begrenzt, reichen also nicht bis vor die libysche Küste.

Schon im vergangenen Jahr starben weit mehr als 3200 Flüchtlinge im Mittelmeer. Etwa 170.000 wurden von Küstenwache, Marine oder Handelsschiffen in Italien an Land gebracht. Die meisten von ihnen fliehen vor Krieg und Armut in ihrer Heimat zunächst nach Libyen. Dort begeben sie sich in die Hände von Schleppern und treten die gefährliche Reise über das Meer an, das ihnen häufig zum Massengrab wird.

(AFP)
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