AKW in Belgien Feuer könnte Kernschmelze auslösen — Atomaufsicht besorgt

Düsseldorf · In Aachen und Umgebung machen sich die Bürger schon lange Sorgen über die maroden belgischen Meiler. Im Nachbarland ging man bislang mit dem Risiko eines atomaren Unfalls sorglos um. Doch nun setzt der Chef der Atomaufsichtsbehörde die AKW-Betreiber unter Druck.

Wie man sich auf den Ernstfall vorbereitet
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Foto: Christoph Reichwein

Die Pannenmeiler Tihange und Doel kommen immer wieder wegen Notabschaltungen oder Haarrissen in den Reaktordruckbehältern in die Schlagzeilen. Vor allem deutsche Umweltschützer treibt das auf die Barrikaden. Die Städteregion Aachen lebt im Schatten des AKW Tihange, dort lebt man mit der Angst eines Atomunfalls.

Viele Städte und Kommunen in NRW haben sogar gegen den Weiterbetrieb des AKW geklagt mit Unterstützung des Landes. In Belgien zeigte man sich bislang wenig beeindruckt vom deutschen Aktivismus in Sachen Doel und Tihange.

Wie nun bekannt wurde, setzt der Chef der belgischen Atomaufsichtsbehörde AFCN, Jan Bens, die Betreibergesellschaft der belgischen Atomreaktoren jetzt unter Druck. Die belgische Zeitung "La Libre" berichtete am Wochenende über zwei Briefe, die Bens an die Betreiber Electrabel und Engie geschickt hat. Sie datieren vom 2. September 2016 und vom 1. Juli 2016. Die Zeitung hat beide Briefe auf ihrer Internetseite veröffentlicht.

FANC-Chef sieht Gefahr einer Kernschmelze

Darin bezieht sich Jan Bens auf ein Treffen mit dem ehemaligen Electrabel-Chef Wim de Clerque. Die beiden sollen über ein Gutachten zum Brandschutz gesprochen haben, das alarmierende Mängel in den beiden belgischen AKW aufzeigt. Bens mahnt gegenüber der Betreibergesellschaft Engie an, dass die erforderlichen Nachbesserungen bisher nicht erfolgt seien. Und er schreibt über seine "Besorgnis über die alarmierenden Wahrscheinlichkeitswerte einer Kernschmelze in den Reaktoren Doel 3 und 4 sowie Tihange 1, 2 und 3" im Falle eines Brands. Offen gesagt, seien die Ergebnisse "desaströs" bezüglich der Wahrscheinlichkeit eines Brandes in den untersuchten Einheiten, schreibt Bens.

Bens äußert in dem Brief vom 1. Juli den Eindruck, Engie und damit auch die Tochterfirma Electrabel nehme die Probleme zu sehr auf die leichte Schulter. "Electrabel scheint sehr wenig besorgt über dieses Thema, und ich zweifle an dem Willen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Probleme schnell zu lösen."

In dem zweiten Brief beklagt sich Bens bei der Aufsichtsratsvorsitzenden von Electrabel darüber, dass bei einer unangekündigten Überprüfung von Tihange 2 im August die Probleme immer noch nicht behoben worden seien.

Jan Bens hat selbst jahrzehntelang für Electrabel gearbeitet. Zuletzt hat er das Atomkraftwerk Doel bis 2007 geleitet. Deswegen haben deutsche Atomkraftgegner der AFCN immer wieder vorgeworfen, nicht unabhängig zu sein.

Bens sagte in einem Interview mit den "Aachener Nachrichten" kurz nach seinem Dienstantritt bei der FANC 2013: "Ich arbeite jetzt nicht mehr für Electrabel, und ich habe seit fünf Jahren keinen Fuß mehr in ein Kernkraftwerk gesetzt. Aber ich weiß, was dort passiert, und ich kann es beurteilen."

Ob der Versuch seiner Intervention Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Belgien ist auf den Strom der Atomkraftwerke angewiesen. Er könne die deutschen Bedenken zwar verstehen, aber in Belgien sei die Atomkraft politisch gewollt, sagte Bens in einem Interview mit den "Aachener Nachrichten" zu Beginn des Jahres.

In Deutschland stehen Tihange 2 und Doel 3 in der Kritik, weil Haarrisse in den Reaktordruckbehältern gemessen wurden, die die nuklearen Brennstäbe umschließen. Bislang unklar ist, ob die Risse bereits bei der Produktion entstanden oder durch die Belastung im Betrieb.

Damit die Reaktordruckbehälter nicht weiter Schaden nehmen, wird das Kühlwasser in den betroffenen Reaktoren leicht erwärmt, um das Material zu schonen. Recherchen des WDR und der "Süddeutschen Zeitung" ergaben, dass auch in anderen europäischen AKW das Kühlwasser in den Reaktoren vorgewärmt wird, unter anderem auch im tschechischen Pannenmeiler Temelin.

Ein Unfall in Tihange mit Austritt von Radioaktivität hätte schwere Folgen für Nordrhein-Westfalen. Tihange ist nur 60 Kilometer von Aachen entfernt. Bei Westwind würde eine radioaktive Wolke die Stadt innerhalb weniger Stunden erreichen und sich anschließend weiter ausbreiten. Daher bereiten sich unter anderem der Kreis Heinsberg und die Stadt Mönchengladbach mit Jodtabletten auf einen atomaren Unfall vor. Erst am Donnerstag hatte die Stadt Mönchengladbach bekannt gegeben, rund 50.000 Jodtabletten an Bürger verteilen zu wollen.

In einer früheren Version des Artikels haben wir berichtet, Electrabel sei der Mutterkonzern von Engie.

(heif)
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