Gedenkfeier in Srebrenica Demonstranten vertreiben Serbiens Regierungschef durch Steinwürfe

Srebrenica · Aufgebrachte Demonstranten haben den serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic am Samstag von der Feier zum Gedenken an das Massaker von Srebrenica im Jahr 1995 vertrieben.

 Aleksandar Vucic (Mitte) flieht vor den Steinwürfen.

Aleksandar Vucic (Mitte) flieht vor den Steinwürfen.

Foto: ap

Vucic legte gerade ein Blumengebinde am Mahnmal nieder, als Demonstranten damit begannen, ihn auszubuhen und Steine nach ihm zu werfen, wie AFP-Reporter berichteten. Ein Stein habe den Regierungschef im Gesicht getroffen und seine Brille zerstört, sagte seine Sprecherin Suzana Vasiljevic.

Darüber hinaus flogen Wasserflaschen, ein Schuh und andere Gegenstände. Die Menschenmenge buhte den serbischen Politiker aus. Leibwächter hoben schützend ihre Arme, Taschen und Schirme und rannten mit Vucic vor der wütenden Menge davon. "Die Massen durchbrachen die Zäune und richteten sich gegen uns", sagte die Sprecherin.

Der früher ultranationalistische Vucic hatte sein Land bei der Gedenkfeier mit Zehntausenden Menschen vertreten. Auf einem Friedhof wollte er Blumen für die Opfer niederlegen, musste aber den Rückzug antreten. Wenig später reiste er nach Serbien zurück.

Sein Außenminister Ivica Dacic bezeichnete den Zwischenfall als Angriff auf Serbien. "Indem er entschied, sich vor den Opfern zu verneigen, verhielt sich der serbische Ministerpräsident wie ein Staatsmann". sagte Dacic. Doch die Politisierung des Themas habe zu neuer Spaltung und Hass geführt. Der muslimische Bürgermeister von Srebrenica, Camil Durakovic, entschuldigte sich bei Vucic.

Während des Bosnienkriegs hatten serbische Truppen 1995 Srebrenica 8000 muslimische Männer und Jungen getötet. International wird das Massaker als Völkermord gewertet. Serbien bestreitet dies jedoch und veranlasste diese Woche Russland, eine UN-Resolution zu blockieren, die die Wertung als Völkermord enthielt.

Srebrenica sollte als Schutzzone der Vereinten Nationen eigentlich Zivilisten Zuflucht bieten. Doch überrannten serbische Truppen die muslimische Enklave, und die niederländischen Blauhelme konnten das Gebiet nicht schützen. Rund 15 000 Männer versuchten, in die Wälder zu fliehen. Mehr als die Hälfte wurde ermordet. Noch immer sind nicht alle der in Massengräbern verscharrten Opfer identifiziert. Im Rahmen der Gedenkfeier am Samstag wurden 136 Leichen zu Grabe getragen. An die Toten erinnern inzwischen endlose Reihen weißer Grabsteine.

Einige Mütter von Opfern hatten Vucic zunächst begrüßt. "Nur auf der Wahrheit lässt sich eine Zukunft bauen", sagte Kada Hotic, die ihren Mann und ihren Sohn bei dem Massaker verloren hatte, zu dem serbischen Politiker. "Alle Mitglieder meiner Familie liegen hier unter diesen Grabsteinen. Das kann man nicht bestreiten. Denn für die Zukunft brauchen wir gute Beziehungen."

Über drei Tage hinweg hatten fast 10 000 Menschen den Marsch der flüchtenden Männer aus Srebrenica von 1995 rückwärts nachgezeichnet. Resid Dervisevic überlebte die Flucht damals und nimmt nun jedes Jahr an einem solchen Gedenkmarsch teil. Der Schmerz des Verlusts verfolgt ihn nach wie vor. "In meinen Träumen spreche ich mit meinem Bruder und meinen Neffen und meinen Freunden, die auf diesem Weg umgekommen sind", sagte er.

Im Bosnienkrieg kämpften orthodoxe serbische Christen gegen bosnische Muslime und kroatische Katholiken. Die Serben versuchten die Abspaltung Bosniens und Kroatiens von Jugoslawien zu verhindern.
Insgesamt starben mehr als 100 000 Menschen, Millionen waren nach dem Konflikt wohnungslos.

(AFP)
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