Untersuchungsbericht Flug MH17 wurde mit Buk-Rakete abgeschossen

Gilze-Rijen · Die vor 13 Monaten über der Ostukraine abgeschossene Boeing 777 wurde von einer Buk-Rakete getroffen. Das geht aus dem Abschlussbericht zu Flug MH17 hervor, den der niederländische Sicherheitsrat OVV am Dienstagmittag vorstellte.

"Flug MH17 stürzte ab, weil auf der linken Seite des Cockpits ein Raketenkopf explodierte", sagte der Vorsitzende des Sicherheitsrates, Tjibbe Joustra, bei der Vorstellung des Reports im niederländischen Gilze-Rijen. Von welchem Gebiet aus die Rakete vom Typ Buk abgefeuert wurde, teilten die Ermittler nicht mit. Teile der Ostukraine werden von prorussischen Separatisten kontrolliert, die Ukraine und Russland machen sich gegenseitig für den Abschuss verantwortlich.

Video des Ermittlerteams zum Hergang der Katastrophe:

Den Abschuss und dem darauf folgenden Absturz hätten die Insassen der Maschine sehr wahrscheinlich nicht bewusst miterlebt, hieß es weiter. Zwar sei der genaue Todeszeitpunkt nicht mehr festzustellen, der OVV habe jedoch keine Anzeichen dafür gefunden, dass es bewusste Handlungen der Insassen nach der Detonation der Rakete gegeben habe.

Die Ergebnisse der Ermittler im Überblick:

  • Der Absturz wurde durch einen Sprengkopf vom Typ 9N314M verursacht, der auf einer Buk1-Rakete montiert war (Baureihe 9M38).
  • Es ist nicht möglich, die exakte Position der Abschussvorrichtung oder die genaue Flugbahn der Rakete zu bestimmen. Das mögliche Abschussgebiet umfasst eine Fläche von 320 Quadratkilometern und liegt in der Ostukraine.
  • Vorwürfe erheben die Ermittler gegen "sämtliche beteiligten Parteien": Keine von ihnen habe "die Risiken angemessen eingeschätzt, die für die zivile Luftfahrt durch den Krieg im Osten der Ukraine entstanden" .
  • Durch den Einschlag und die Druckwelle wurden die drei Crewmitglieder im Cockpit sofort getötet. Das Flugzeug brach unmittelbar danach auseinander; dabei wurde der Bug vom Rest des Rumpfes abgerissen. Letzterer trudelte noch 8,5 Kilometer weiter, bis er schließlich auf dem Boden aufschlug.
  • Vom Moment der Detonation bis zum Aufprall in der Nähe von Grabovo dauerte es 60 bis 90 Sekunden.
  • Für die Insassen gab es keine Überlebenschance. Einige von ihnen waren wahrscheinlich sofort tot. "Andere verloren durch die äußeren Bedingungen [den Druckabfall] innerhalb weniger Augenblicke das Bewusstsein oder nahmen die Umstände zumindest nur eingeschränkt wahr", heißt es im Report. Wahrscheinlich hätten sie die Situation nicht bewusst erfassen können.

Bei der Präsentation in der Luftwaffenbasis Gilze-Rijen wurde auch eine Rekonstruktion von Teilen der abgeschossenen Boeing gezeigt, die ein internationales Expertenteam in den vergangenen Monaten aus Trümmerteilen angefertigt hatte.

Mehrfach hatte der OVV zuvor darauf hingewiesen, dass der Abschlussreport keine Angaben zur Schuldfrage beim Abschuss von Flug MH17 enthalten würde. Die strafrechtliche Untersuchung der Katastrophe liegt bei der niederländischen Staatsanwaltschaft. Ob es jemals zu einer Anklage und einem Prozess kommt - und falls ja, vor welchem Gericht - ist noch immer unklar.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko teilte dazu mit, sein Land habe bei der Suche nach Schuldigen eine enge Zusammenarbeit mit den Niederlanden vereinbart. Vertreter beider Länder wollten zunächst mit Kollegen aus Australien, Malaysia und Belgien die strafrechtlichen Ermittlungen zum Abschuss der Passagiermaschine abschließen, teilte das ukrainische Präsidialamt mit. Anschließend solle ein "optimaler Mechanismus" gefunden werden, um die Schuldigen der Katastrophe von Juli 2014 zu bestrafen.

MH17 Abschlussbericht: Niederländer präsentieren Wrack-Rekonstruktion
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MH17-Insassen erlebten Abschuss wohl nicht bewusst

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Foto: afp, ed/GBA

Bereits am Dienstagvormittag hatte der staatlich kontrollierte russische Rüstungskonzern Almas-Antei eine eigene Untersuchung im Fall MH17 präsentiert, deren Ergebnisse jenen der niederländischen Ermittler teilweise widersprechen. Demnach sei die Passagiermaschine nicht von einer Buk-Rakete aus russischer Produktion abgeschossen worden, sondern von einem älteren Modell, sagte Unternehmenschef Jan Nowikow noch vor Veröffentlichung des niederländischen Berichts. Außerdem sei das Geschoss aus dem Dorf Saroschenske abgefeuert worden, das damals unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung gewesen sei.

Almas-Antei produziert unter anderem das Buk-Raketensystem. Für die eigene Untersuchung seien Raketen auf Aluminiumplatten sowie auf ein ausgemustertes Großraumflugzeug vom Typ Iljuschin Il-86 abgeschossen worden, hieß es. Die Experimente würden auf ein älteres Raketenmodell schließen lassen, sagte Nowikow. Und selbst wenn es eine Buk gewesen sei, zeigten Beweise, dass der Abschussort Saroschenske gewesen sei.

Die Boeing 777 der Malaysia Airlines war am 17. Juli 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über der Ostukraine abgeschossen worden. Alle 298 Menschen an Bord kamen dabei ums Leben, die meisten von ihnen waren Niederländer. Über den Hergang der Katastrophe wird bis heute erbittert gestritten: Russland (an der Seite der prorussischen Separatisten) und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, Flug MH17 abgeschossen zu haben.

Nach Meinung vieler westlicher Beobachter, darunter das Recherchekollektiv Bellingcat, führte Russland im Propagandakrieg um die Schuldfrage zum Teil manipulierte Beweisbilder ins Feld. Bellingcat-Journalisten wiederum rekonstruierten den Weg eines Buk-Raketensystems, das von russischem Territorium zum Tatort geschafft und nach dem Abschuss wieder zurückgeschmuggelt worden sei.


Mit Material von dpa, AP, AFP

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