Abgeschossene Boeing in der Ukraine MH17 — der lange Weg zur Bestrafung der Schuldigen

Genf · Die Welt ist entsetzt, die Rufe nach einer Bestrafung der Verantwortlichen für den Flugzeugabsturz in der Ostukraine sind laut. Aber eine Strafverfolgung wird schwierig. Wie, wo, und vor allem: gegen wen?

Der Absturzort der MH17 - ein Ort wie nach der Apokalypse
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Der Absturzort der MH17 - ein Ort wie nach der Apokalypse

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Die Verantwortlichen sollen zur Rechenschaft gezogen werden: Das hört man seit dem mutmaßlichen Abschuss der malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine immer wieder. Aber wer hofft, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, muss möglicherweise lange warten - und könnte am Ende ganz enttäuscht werden.

Wichtige Beweise könnten kompromittiert oder ganz verschwunden sein, politische Kompliziertheiten es verhindern, dass sich ein internationales Gericht mit dem Fall beschäftigt.

Sollten russische Staatsangehörige in die Katastrophe mit 298 Todesopfern verwickelt sein, kommt vielleicht niemand an die Schuldigen heran: Die russische Verfassung verbietet die Auslieferung von Staatsbürgern.

Und, als legaler Erbe der Sowjetunion, hat Russland niemals auch nur einen Rubel Entschädigung an die Familien der 269 Menschen gezahlt, die 1983 beim Abschuss einer koreanischen Maschine durch die sowjetische Luftwaffe ums Leben kamen.

Niederlande: Freies Geleit für MH17-Opfer nach Ankunft in Eindhoven
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Freies Geleit für MH17-Opfer in den Niederlanden

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Generell kann Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats jeden Versuch etwa der USA oder eines anderen Gremiumsmitglieds blockieren, den Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Es gibt andere Wege, um diese Instanz einzuschalten, aber sie sind mit vielen Problemen behaftet.

Die Zerstörung des Flugzeuges am 17. Juli könnte vielleicht als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden. Aber um einen Schuldspruch zu erreichen, müsste Experten zufolge eine systematische oder weit verbreitete Attacke gegen Zivilisten nachgewiesen werden.

Und wenn prorussische Separatisten die Maschine abschossen, wovon etwa die USA überzeugt sind, könnten sie auf absehbare Zeit unerreichbar für den Arm des Gesetzes sein. Sie kontrollieren zudem weiterhin das Gebiet, in das die Boeing stürzte.

"Ich glaube, die Schlüsselentscheidung, die Strafverfolgungsbehörden treffen müssen, ist, ob es eine ausreichende Basis für den Beginn strafrechtlicher Ermittlungen gibt", sagt Goran Sluiter, Professor für internationales Recht an der Universität von Amsterdam. "Und ein Kernfaktor wäre, wie machbar es sein wird, die Beweise zu sammeln."

Trotz all dieser Hürden dürsten viele nach Gerechtigkeit. Die Boeing sei ganz klar als kommerzielles Flugzeug identifizierbar gewesen, sagt Tony Tyler von der Internationalen Luftverkehrsvereinigung in Genf. "Und sie wurde abgeschossen, in völliger Verletzung internationaler Gesetze, Standards und Konventionen - während sie per Funk über ihre Identität und Präsenz in einem offenen und verkehrsreichen Luftkorridor in einer als sicher angesehenen Flughöhe informierte."

Die EU-Außenminister forderten am Dienstag einstimmig, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Niederlande leiten ein internationales Team von 24 Ermittlern und haben bereits die Aufzeichnungsgeräte der Maschine wie den Flugschreiber zur Auswertung an britische Experten weitergeleitet.

US-Regierungsbeamte führen den Inhalt abgefangener Gespräche, Satellitendaten und Kommunikationen in sozialen Medien als Beweis dafür an, dass Russland die "Voraussetzungen" für den Abschuss des Flugzeuges durch eine Rakete geschaffen habe.

Aber zugleich wurde davor gewarnt, so etwas wie einen "Perry Mason"-Moment zu erwarten, wie man ihn aus der bekannten früheren TV-Gerichtsdrama-Serie kennt: Das ist jener Augenblick in jeder Episode, in der Mason, ein fiktiver Anwalt, alle Stücke des Puzzles zusammenfügt, klar wird, wer der Schuldige ist.

Die Gesichter von Flug MH17
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Gäbe es direkte Beweise für eine russische Verwicklung in die Tragödie, wäre es nach Ansicht von Experten vielleicht möglich, den Fall auch trotz Moskauer Einwände vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Die Ukraine und Malaysia sind zwar keine Mitglieder, aber könnten sich vorübergehend der Rechtshoheit dieser Instanz unterwerfen. Solange jedoch die Niederlande oder andere Länder eine Strafverfolgung auf nationaler Ebene betreiben, würde das Gericht nicht involviert. Es ist eine Instanz, die als letzte Möglichkeit Fälle behandelt.

Und wie sieht es mit den Beweisen aus? Die mangelnde Sicherung der beiden Haupttrümmerfelder und Bilder von Rebellen, die nach dem Absturz darin herumwühlten, haben die Sorge ausgelöst, dass die Beweise nicht mehr intakt oder vollständig sind. Dennoch sollten Ermittler in der Lage sein herauszufinden, was genau geschah und den Fall vor Gericht zu bringen, findet Carsten Stahn, Experte für internationales Recht an der niederländischen Universität Leiden.

Stahn erinnert an den Anschlag von Lockerbie im Jahr 1988, als eine Pan-Am-Maschine mit 270 Insassen über Schottland zum Absturz gebracht wurde. Libyen war der Drahtzieher. "Das führte zu einem schottischen Prozess in den Niederlanden", sagt der Experte. "Eine ähnliche Formel könnte vielleicht auch beim jetzigen Vorfall angewendet werden."

Malaysia könnte auch eine Zivilklage gegen Russland bei einem internationalen Gericht einreichen, wenn sich nachweisen ließe, dass das Land Beihilfe zum Absturz der Maschine leistete. Es könnte dann zu einem Vergleich und Entschädigungsleistungen kommen, wie nach dem versehentlichen Abschuss einer iranischen Maschine durch die US-Marine im Jahr 1988.

Betreibt ein Staat wie die Niederlande die Strafverfolgung, würde sich diese wahrscheinlich auf abgehörte Telefongespräche, Satellitenbilder und Zeugenaussagen stützen, sagt Michael Scharf von der Rechtsfakultät der amerikanischen Case Western Reserve Universität.

Er empfiehlt, den Fall als mutmaßlichen Akt des Terrorismus unter der internationalen Anti-Sabotage-Konvention von 1973 zu behandeln. "Fast jedes Land, darunter Russland, hat sich diesem Vertrag gegen Terrorismus angeschlossen", so Scharf. "Und: Die Konvention bezieht sich auf Anschläge auf Zivilflugzeuge, egal, ob eine Bombe an Bord versteckt oder ob von der Erde aus gefeuert wurde."

(ap)
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