Awacs-Radarjets über dem Mittelmeer Bootsflüchtlinge bekommen Hilfe aus der Luft

Geilenkirchen/Cagliari · Unbemerkt von der Öffentlichkeit beteiligen sich die Awacs-Radarjets der Nato an der Rettung der Menschen auf dem Mittelmeer. Der Blick aus der Luft hilft den Kräften am Boden immens. Wir sind mitgeflogen.

Flüchtlingshilfe: An Bord eines Awacs-Radarjets
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An Bord eines Awacs-Radarjets

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Tief unten ist im Morgendunst das Mönchengladbacher Borussia-Stadion zu erkennen. Als der Flughafen Düsseldorf in Sicht kommt, zieht der italienische Pilot Roberto Mesiti die E-3A der Nato in eine enge Rechtskurve und reiht sich in 10.000 Meter Höhe ein in den zivilen Flugverkehr in Richtung Alpen. Das Ziel ist Sardinien. Doch landen wird der vierstrahlige Jet auf der Insel nicht. Die Maschine mit dem riesigen Radar auf dem Rumpf, die den internen Missionsnamen "Magic 51" trägt, wird stundenlang über dem Mittelmeer kreisen - Hauptauftrag ist zwar die Unterstützung einer Übung der italienischen Luftwaffe. Aber auch ein sogenanntes maritimes Lagebild wird erstellt, das nun sehr hilfreich ist angesichts der anhaltenden Flüchtlingskatastrophe.

Griechenland: Flüchtlings-Drama vor Rhodos – ein Retter erzählt
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Flüchtlings-Drama vor Rhodos – ein Retter erzählt

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Die Vorstellung von einem einsam im Wasser treibenden Flüchtlingsboot hat beim Blick auf den Bildschirm von Oberst Marinus Moerland keinen Bestand mehr: Mehr als 120 Schiffe sind in dem rund 500 mal 200 Kilometer großen Viereck zu sehen, das der niederländische stellvertretende Kommandeur des Nato-Verbandes gerade unter die Lupe nimmt. Je nach Einstellung werden die Schiffe durch kleine blaue oder gelbe Symbole dargestellt. Zu erkennen sind auch Bewegungen im Hafen der libyschen Hauptstadt Tripolis sowie zwischen Tunesien und der italienischen Insel Pantelleria. Um Lampedusa blinkt es ebenfalls gelb.

Die Besatzung von "Magic 51" besteht heute aus Amerikanern, Belgiern, Deutschen, Griechen, Italienern und Niederländern. Theoretisch könnten bis zu 15 Nationen an Bord sein, denn sie bilden zusammen in Geilenkirchen diesen einzigartigen Großverband des westlichen Verteidigungsbündnisses, der auch als Awacs bekannt ist.

Hauptauftrag ist zurzeit die Unterstützung der östlichen Nato-Partner: Täglich patrouillieren ein bis zwei Frühwarn-Flugzeuge in der Gegend um Polen und Rumänien und überwachen die Ostsee und das Schwarze Meer. So sind auch die russischen Kampfjets zu erkennen, die ihre elektronische Kennung, den Transponder, oftmals ausschalten und damit für die zivile Flugsicherung unsichtbar sind - eine nicht zu unterschätzende Gefahr.

Auf See ist es ähnlich wie im Luftraum: Kapitäne, die Flüchtlinge transportieren, wollen nicht entdeckt werden und schalten ebenfalls ihre Transponder aus; auf Funk reagieren sie nicht. "Ein Schiff kann man aber vor uns nicht verstecken", sagt der deutsche Major Johannes Glowka, während "Magic 51" eine neue Schleife über Sardinien dreht, und ergänzt: "Immer wenn wir das Mittelmeer überfliegen, erstellen wir auch standardmäßig ein maritimes Lagebild. Momentan haben wir aber keinen Auftrag zu gezielten Seeraumüberwachung."

Die Wolkendecke ist dicht, vereinzelt gibt es Gewitter, aber das sieht man in der fensterlosen Röhre nicht. "India 9" - das "I" steht für Italien - heißt der für die Luftfahrt gesperrte Orbit, der in 9500 Meter Höhe durchflogen wird. Zivile Jets dürfen der E-3A wegen ihres stark strahlenden Radars nicht zu nahe kommen. Das könnte ihre Elektronik stören.

Oberst Moerland ist sich sicher, dass ihm trotz des irritierenden Gewusels auf dem Bildschirm nichts entgeht: "Alles Metallische reflektiert, auch ein hölzernes Schiff hat viele Metallteile an Bord." Er und seine Kameraden können einzelne Regionen heranzoomen und verdächtige Objekte anklicken.

"Unser besonderes Augenmerk liegt darauf, wer sich selber durch das Abstrahlen eines Signals zu erkennen gibt und wer nicht. Schmuggel- oder Schlepperschiffe vermeiden jegliche eigene Identifizierung", erläutert Moerland. "Wir wissen aber nicht, ob es sich um ein Schiff voller Flüchtlinge handelt oder ein harmloses Fischerboot." Erst im Datenverbund mit den Bodenstationen sei festzustellen, was sich hinter dem Symbol verbirgt, ob ein Urlauberjet oder eine Freizeit-Cessna, ein Containerfrachter oder ein "Geisterschiff", das vielleicht Hunderte Menschen aus Afrika nach Europa zu bringen versucht. "Bei schwerer See wird es komplizierter, Boote aufzuklären. Dann geben die hohen Wellenkämme selbst Radarechos ab", berichtet der niederländische Offizier. "Doch wir haben bereits bei der Seeraumüberwachung des Mittelmeers im Rahmen der Anti-Terror-Operation ,Active Endeavour' viel Erfahrung sammeln können."

Der Blick aus der Luft helfe den Dienststellen am Boden sehr: "Für sie ist in der Mitte des Mittelmeers ein schwarzes Loch. Dort erkennen sie von Land aus nichts mehr. Wir von oben können diese Lücke schließen." Erhärtet sich der Verdacht, dass ein Flüchtlingsschiff unterwegs ist, wird ein Hubschrauber oder ein Patrouillenboot losgeschickt.

14 Bildschirmkonsolen befinden sich im Rumpf des speziell für das Militär gebauten Jets; überall Kabel, Generatoren, dazu große graue Kästen voll teils geheimer Elektronik. "Sie müssen viel trinken", empfiehlt Glowka. Die Luft ist extrem trocken, damit die sensible Technik nicht durch Rost gefährdet wird.

"Magic 51" nimmt unter Führung des deutschen "Tactical Director", Oberstleutnant Michael Belizaire, gleichzeitig mehrere Aufträge wahr: So führt Stabsfeldwebel Sascha Staib gerade südwestlich von Sizilien zwei italienische "Eurofighter"-Abfangjäger an zwei unidentifizierte Flugobjekte heran. Deren Symbole wechseln von blau auf rot: ein feindlicher Angriff, zum Glück nur eine Übung.

Plötzlich flackert am unteren rechten Bildschirmrand ein dickes gelbes Kreuz auf - ein echter Luftnotfall. "Magic 51" informiert schnell die zivile Flugsicherung. "Oftmals beobachten wir durch die besondere Ausstattung und die große Flughöhe auch Zwischenfälle, die sonst keine Bodenstation sehen kann, und geben dann die Daten standardmäßig an Stellen am Boden weiter. Ein unschlagbarer Vorteil, der schon einige Menschenleben gerettet hat", berichtet Major Glowka.

Was dem unbekannten Jet genau passiert ist und was nun veranlasst wird, erfahren die Soldaten wie bei der Weitergabe ihres Seelagebildes nicht. "Wir sind Dienstleister in Sachen Sicherheit", sagt Glowka. "Aber bei Flügen wie heute sind die Soldaten besonders motiviert."

(RP)
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