Nigerianische Mädchen vor einem halben Jahr entführt Noch immer in den Händen der Boko-Haram-Terroristen

Lagos · Ihr Schicksal hat die Welt berührt. 200 nigerianische Schülerinnen, entführt von Islamisten. Ein halbes Jahr danach sind die Mädchen noch immer in Gefangenschaft der Sekte Boko Haram. "Bring Back"-Kampagnen sind eingeschlafen.

Mai 2014: Boko Haram führt verschleppte Mädchen vor
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Mai 2014: Boko Haram führt verschleppte Mädchen vor

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Foto: afp, JM

"Bring Back Our Girls" (Bringt unsere Mädchen zurück) — das war auf Schildern zu lesen, die Prominente wie Amerikas First Lady Michelle Obama, die Schauspielerin Angelina Jolie oder Schwedens Prinzessin Madeleine vor Kameras hielten. Menschen in aller Welt schlossen sich der Forderung an. Bewirkt hat das wenig. Ein halbes Jahr nach der Entführung von mehr als 200 Schülerinnen im Norden Nigerias sind die weitaus meisten von ihnen weiter in der Gewalt grausamer Terroristen. Viele "Bring Back"-Kampagnen sind eingeschlafen.

Es war die Nacht vom 14. zum 15. April, als die radikalislamische Miliz Boko Haram eine Mädchenschule in der Stadt Chibok überfiel. Die 15- bis 18-jährigen Schülerinnen mussten Lastwagen besteigen. Kurz darauf waren sie in unwegsamen Dschungel- und Sumpfgebieten verschwunden.

Was sie erleiden, lässt sich ahnen. Vier Schülerinnen sei kürzlich die lebensgefährliche Flucht gelungen, berichtete die "Sunday Times" unter Berufung auf einen britischen Unterhändler, der an erfolglosen Gesprächen über die Freilassung der Entführten beteiligt gewesen sei. "Sie enthüllten, dass sie an jedem Tag ihrer Gefangenschaft vergewaltigt wurden und dass ihnen gedroht wurde, man werde ihre Familien töten, wenn sie ein kritisches Wort über Boko Haram sagen oder es wagen, Englisch zu sprechen", berichtete die Zeitung.

Mit Verkauf als "Sklavinnen" gedroht

In widersprüchlichen Videobotschaften hat Boko-Haram-Chef Abubakar Shekau die Mädchen einmal als Geiseln dargestellt und die Freilassung gefangener Kämpfer gefordert. Dann hieß es wieder, sie seien zum Islam konvertiert und mit Kämpfern "verheiratet" worden. Auch mit ihrem Verkauf als "Sklavinnen" hat die Miliz gedroht.

Nach eigenem Bekunden will Boko Haram — der Name bedeutet "Westliche Bildung ist verboten" — im überwiegend islamischen Norden Nigerias ein Kalifat errichten. Seit die Terroristen im August 2011 das UN-Quartier in Nigerias Hauptstadt Abuja mit einer Autobombe in die Luft jagten, haben sie mit Anschlägen auf Schulen, Märkte, Kirchen und Polizeistationen Tausende Menschen ermordet.

Nigerias christlicher Staatspräsident Goodluck Jonathan hat die Zerschlagung der Miliz, die jener des Islamischen Staats (IS) im Irak an Grausamkeit in nichts nachsteht, mehrfach versprochen. "Unsere Sicherheitskräfte liefern sich mit den Terroristen eine Schlacht", erklärte er zum 54. Jahrestag der Unabhängigkeit seines mit mehr als 170 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Landes Afrikas am 1.
Oktober. "Getrieben von patriotischem Eifer führen sie vernichtende Schläge gegen das Herz des Terrors."

Tatsächlich konnte die Armee einige Erfolge vermelden. Rund 130 Kämpfer seien im Bundesstaat Borno, wo Boko Haram einst entstand, gefangen genommen worden. Dutzende seien getötet worden. Die Antwort der Terroristen folgte wenig später: Ein Video, das die Enthauptung eines Piloten der nigerianischen Luftwaffe zeigen soll, dessen Flugzeug beim Einsatz gegen die Miliz abgestürzt war.

Verstärkte Militäraktionen angekündigt

In Borno herrscht die Angst, dass es Boko Haram gelingen könnte, nach mehreren kleineren Orten sogar Maiduguri zu erobern — die Hauptstadt des Bundesstaates mit zwei Millionen Einwohnern. Die Armee konnte zwar einen Angriff 35 Kilometer vor den Stadtgrenzen zurückschlagen. Doch sie ist schlecht ausgerüstet und kaum motiviert.

Der katholische Bischof von Maiduguri, Oliver Dashe Doeme, forderte dringend, die Soldaten besser zu bewaffnen. Nur so könnten sie "den hochgerüsteten Terroristen entgegentreten", sagte er der Deutschen Welle. Was den rund 120.000 Katholiken in seiner Diözese droht, wenn Boko Haram siegt, macht der IS im Irak vor.

Das nigerianische Parlament hat derweil der vom Präsidenten beantragten Aufnahme eines Kredits von einer Milliarde Dollar (rund 800.000 Millionen Euro) für neue Waffen zugestimmt. Zudem kündigten die Regierungschefs von Nigeria, Niger, Tschad und Benin vorige Woche verstärkte gemeinsame Militäraktionen gegen Boko Haram an. Dass sich das Kräfteverhältnis gegenüber den mit Geld aus Golfstaaten versorgten Islamterroristen entscheidend ändert, bezweifeln viele.

Schon jetzt sei ein Viertel des nigerianischen Haushaltes für Militär und Polizei vorgesehen, rechnet der Autor Marc Engelhardt in seinem Buch "Heiliger Krieg — Heiliger Profit" über Terroristen in Afrika vor. Er verweist auf mafiöse Strukturen in Nigeria und einflussreiche geheime Nutznießer des Terrorismus: Ein Großteil der Milliarden für dessen Bekämpfung versickere in dunklen Kanälen. "Während Jonathans Regierung versucht, den Korruptionssumpf an manchen anderen Stellen trockenzulegen, tun sich hier neue Einnahmequellen auf - dank der Bedrohung durch Boko Haram."

(dpa)
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