Besuch in Idomeni Norbert Blüm übernachtet im Zelt bei Flüchtlingen

Idomeni · Der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm ist nach Idomeni gereist und hat dort zwischen Flüchtlingen sein Zelt aufgeschlagen.

 Der ehemalige Minister in seinem Zelt in Idomeni.

Der ehemalige Minister in seinem Zelt in Idomeni.

Foto: dpa, nie pil

Das unscheinbare, kleine blaue Zelt im Schlamm des griechischen Flüchtlingslagers Idomeni ist nur eines von zahllos vielen. Doch der Mann, der am Sonntagmorgen aus dieser Behausung kriecht, ist kein Flüchtling, sondern der ehemalige deutsche Arbeitsminister Norbert Blüm.

Ziemlich gerädert, in einen schwarzen Anorak und Kapuze gehüllt, ein wenig gestützt von einem deutschen Kamera-Team, richtet sich der 80-Jährige auf. Die ganze Nacht und den halben Tag davor hat es geregnet. Die Temperatur fiel auf 6 Grad. Kein guter Ort für einen in Ehren ergrauten 80-Jährigen.

"Was ist denn das für ein Europa?"

Doch Blüm ist es ein Anliegen, hier zu sein. Eine Regennacht bei den Flüchtlingen von Idomeni verbracht zu haben. Er will ein Zeichen setzen gegen die Gleichgültigkeit europäischer Politiker, die die Grenzen abschotten. Die die Flüchtlinge, die als Ergebnis ihres Wirkens irgendwo am Rand Europas gestrandet sind, im wahrsten Sinn des Wortes im Regen stehen lassen. "Bei Millionen, die in Not sind, wegzugucken", ereifert sich Blüm vor seinem Zelt. "Was ist denn das für ein Europa?"

Binnen Sekunden umringt ihn eine Großfamilie aus dem irakischen Mossul, einer Millionenstadt, über die heute die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) herrscht. "Germany, Germany!" rufen sie. Abdel Rassak, das Oberhaupt, hält eine spontane Ansprache auf Arabisch, die seine Frau Intisar ins Englische übersetzt: "Seht diesen Mann hier aus Deutschland! Er hat eine Nacht bei uns verbracht. Ich frage: Wo sind die arabischen Führer? Was hört man von ihnen? Was tun sie für uns? Nichts!"

Der 50-Jährige hatte eine gutgehende Firma in Mossul, stellte Funktürme für die Mobiltelefon-Kommunikation auf. Selbstständig denkende Bürger wie er stehen beim IS ganz oben auf der Abschussliste. Er will jetzt mit seiner Familie nach Deutschland, wo schon seine Söhne leben.

Schon nach seiner Ankunft am Samstag hatte Blüm die Zustände in Idomeni als "Anschlag auf die Menschlichkeit" und als "Kulturschande" abgestempelt. Idomeni ist eigentlich der griechische Grenzbahnhof am Übergang zu Mazedonien. Auf einem Bahngleis lagern Flüchtlinge, das zweite hat die griechische Polizei freigehalten. Blüm beobachtete immer wieder, wie Güterzüge im Schritttempo an den Flüchtlingen vorbeifuhren, wie sich das Grenztor am Ende des Bahnhofs für die Züge öffnete und nach deren Durchfahrt sofort wieder schloss.

Für den Ex-Politiker, der in seiner aktiven Zeit als das "soziale Gewissen" der CDU galt, ist es eine besonders empörende Erfahrung:
"Wenn es um Geschäfte geht, um Waren, dann gibt es freie Bahn. Aber wenn es um Menschen geht, dann nicht. Für die Geldgeschäfte gilt globale Grenzenlosigkeit, aber die Menschen bleiben eingesperrt. Was ist das für eine Welt? Ist das Globalisierung?"

Mit seiner Aktion lenkt Blüm jedenfalls die Aufmerksamkeit auf einen Ort, an dem 12 000 Asylsuchende gestrandet sind, weil sich für sie die Grenzen nach Europa geschlossen haben. Die griechische Regierung bietet zwar inzwischen Plätze in besser ausgerüsteten Aufnahmelagern im Inneren Griechenlands an. Am Samstag wurden sogar Flugblätter in Arabisch, Farsi (Persisch) und Paschtu (afghanische Sprache) verteilt, die die Menschen darüber informierten, dass die Grenze vor ihrer Nase nun endgültig geschlossen ist und dass sie auf freiwilliger Basis in reguläre Lager ziehen können.

Doch nur wenige nahmen dieses Angebot bislang an. Täglich fahren ein paar Busse nach Athen, doch müssen die Flüchtlinge für die Fahrt 25 Euro pro Person berappen. Viele setzen ihre Hoffnungen auf den nächsten EU-Gipfel am 17. und 18. März. Sie wissen nicht, dass dort die Öffnung der Nordgrenze Griechenlands nicht zur Debatte steht.

Rund 200 Flüchtlinge hielten am Samstag auf dem Bahngleis eine Protestkundgebung ab. Sie riefen: "Germany, Germany! Merkel, Merkel!" Für wenige Stunden musste der Güterzugverkehr ruhen.

(jco/dpa)
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