Bluttat sorgt für Entsetzen Norwegen weint um die Opfer

Oslo · Unbeschreibliches Entsetzen und tiefe Trauer: In Oslos Kathedrale versammeln sich am Samstag erschütterte Norweger, um der Opfer des blutigen Doppelanschlags zu gedenken. Nicht nur die Angehörigen ringen um Fassung. Auch Kronprinzessin Mette-Marit ist sichtlich berührt, als ihre Kinder bei der Mahnwache Kerzen für die Getöteten entzünden. Kurz darauf kann sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

Die grausame Untat in Norwegen macht fassungslos. Bei dem Doppelanschlag auf das Osloer Regierungsviertel und das Jugendlager auf der Insel Utoya sind mindestens 94 Menschen getötet worden. Und die Zahl der Opfer könnte noch steigen, denn laut Polizei werden noch vier Jugendliche aus dem Zeltlager vermisst.

Bei der Mahnwache für die Opfer versammeln sich Hunderte. In der Kathedrale von Oslo erhellt ein Meer von Kerzen den Raum. Auf der Straße umarmen sich Trauernde und legen Blumen nieder.

Auch die norwegische Königsfamilie ist vor Ort: Königin Sonja, Kronprinz Haakon und seine Frau Mette-Marit sowie ihre beiden Kinder Ingrid Alexandra und Sverre Magnus entzünden Kerzen in der Kirche. Kronprinzessin Mette-Marit ist sichtlich ergriffen, als ihr Sohn sein Teelicht an einer der großen Kerzen entflammt. Als sie die Kathedrale verlässt, kann sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

Das ganze Ausmaß des Schreckens wird besonders deutlich, wenn die Überlebenden von Utoya berichten. Der 16-jährige Edvard ist einer von ihnen. Für ihn sollte es eine schöne Zeit werden, doch das Ferienparadies Utoya entwickelte sich zur Hölle auf Erden. Der Junge schläft gerade, als das Massaker beginnt. Das Knallen der Schüsse hält er erst für ein Feuerwerk. Doch dann ertönt das Geschrei seiner Freunde, sie zerren ihn aus dem Bett. Er sieht die blutüberströmten Körper von Mädchen und Jungen am Boden liegen. "Ich bin gerannt, immer weiter gerannt, bestimmt fünf Minuten nur gerannt", sagt er.

Der Täter rief: "Lasst mich spielen"

"Dieser Typ war ganz ruhig", erzählt Edvard. "Er hat immer wieder geschossen, und als wir wegliefen, hat er ganz ruhig gerufen 'kommt zurück, lasst mich spielen'."

Wie viele seiner Freunde tot sind, weiß Edvard noch nicht. "Einen meiner besten Freunde hat immer noch niemand gefunden, ein anderer liegt mit einem Bauchschuss im Krankenhaus", sagt Edvard.

Er selbst konnte fliehen. Er schaffte es bis zum Wasser, dachte nicht nach, sondern sprang hinein und schwamm in Richtung des rettenden Festlandes. Ein Boot mit Hilfskräften nahm ihn auf.

Auch der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg war als Kind in einem Ferienlager auf Utoya. "In meiner Erinnerung war es das Paradies", sagte er am Samstag, wie eine CNN-Reporterin erzählt. "Nun wurde es zur Hölle."

Stoltenberg verspricht Hilfe

Stoltenberg sagte den Opfern der Anschläge Hilfe zu. "Wir werden alles in unserer Kraft stehende tun, soviel Unterstützung wie möglich zu bieten", sagte er während eines Besuchs in Sundvollen, das gegenüber Utoya auf dem Festland liegt. Dorthin wurden die Jungsozialisten gebracht, die das Blutbad vom Vorabend überlebt haben.

Der mutmaßliche Täter wurde in der Zwischenzeit vernommen und hat ein Teilgeständnis abgelegt. Der 32-jährige Anders B. B. gab zu, auf Utoya um sich geschossen zu haben. Dabei hat er laut Polizei zwei Schusswaffen eingesetzt. Sein Motiv für die Bluttat ist aber nach wie vor völlig unklar. Die Gespräche mit dem Festgenommenen bezeichnete die Polizei als "schwierig".

Der Mann soll im Internet christlich-fundamentalistische und islamfeindliche Ansichten vertreten haben. Er wurde vorläufig der Durchführung von Terrorakten beschuldigt. Laut der norwegischen Zeitung "Verdens Gang" bestellte er vor etwa zehn Wochen sechs Tonnen Kunstdünger, der für den Bau von Bomben verwendet werden kann.

Sprengsätze aus Dünger gebaut

Aus Polizeikreisen verlautete am Samstagabend, dass für die Sprengsätze in Oslos Regierungsviertel Dünger und Dieselkraftstoff benutzt worden seien. Auf dem Gelände des Wohnhauses des Verdächtigen konnte die Polizei große Säcke mit Kunstdünger sicherstellen.

Das volle Ausmaß der Anschläge wurde erst Stunden später bekannt. Auch auf Utoya wurde mindestens ein nicht explodierter Sprengsatz gefunden. Die Zufahrtsstraßen zur der Insel gegenüberliegenden Küste waren weiträumig abgesperrt.

Verwirrung herrschte am Samstag über einen möglichen zweiten Täter. Die Polizei erklärte zunächst, die beiden Angriffe hätte ein Mensch alleine nicht durchführen können. Später dementierten die Beamten dann Medienberichte, laut denen nach weiteren Verdächtigen gesucht werde.

Mit Agenturmaterial

(RPO)
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