Umweltkatastrophe Ölteppich erreicht US-Küste

New Orleans (RPO). Den USA drohen die größte Umweltkatastrophe ihrer Geschichte. Das Öl aus der im Golf von Mexiko gesunkenen Plattform erreichte am Donnerstagabend (Ortszeit) die Küste des US-Bundesstaats Louisiana. Nahe des hoch sensiblen Mississippi-Deltas schwappe der Ölteppich an Land, teilten die örtlichen Behörden mit.

Bilder aus dem All: Die Ölpest 2011 im Golf von Mexiko
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Neue Hiobsbotschaften

Neue Hiobsbotschaften schrecken nicht nur die Küstenbewohner am Donnerstag auf: Das Öl tritt fünfmal schneller als gedacht aus dem beschädigten Bohrloch aus, rund 800.000 Liter pro Tag. Und es scheint, als habe sich auch das Wetter gegen die Retter verschworen. Der Wind über dem Golf von Mexiko dreht und treibt den bedrohlichen Ölteppich in Richtung der hoch empfindlichen Küste, die er wohl am Freitag erreichen wird. Die US-Regierung erklärte die Ölpest zu einer Katastrophe mit nationaler Bedeutung, der Gouverneur des US-Bundesstaats Louisiana, Bobby Jindal, ruft den Notstand aus.

Den Einsatzkräften läuft die Zeit davon. Die Ölpest droht völlig außer Kontrolle zu geraten - spätestens seit am Mittwoch in 1500 Metern Tiefe ein drittes Leck entdeckt wurde. Bisherige Versuche zur Eindämmung des gigantischen Teppichs - wie zuletzt das kontrollierte Abfackeln von Teilen des Öls - brachten keine entscheidenden Erfolge.

Umweltschützer rechnen mit dem Schlimmsten, wenn das Öl erst einmal den einzigartigen Lebensraum im Mündungsdelta des Mississippi erreicht hat. "Es ist nicht so, dass da einfach einige Freiwillige hinfahren können, um das Öl aufzuwischen", sagt die Umweltexpertin LuAnn White von der Tulane-Universität in New Orleans. "Hier gibt es viele Meilen sumpfigen Küstenlandes, die nur per Boot erreicht werden können. Es ist höchst empfindlich." Die ersten Ausläufer der Öl-Verseuchung würden am Freitag an die Küste gelangen, sagt Konteradmiralin Sally Brice O'Hara voraus.

Besonders schwer zu behebendes Fiasko

Ölverschmutzungen sind für jede Küste eine Katastrophe. Die Beschaffenheit der Golfküste lässt ein besonders schwer zu behebendes Fiasko erwarten. Über Jahrtausende hinweg hat der Mississippi sein Delta durch immer neue Ablagerungen ins Meer hinausgetrieben, das Sumpfdelta ist ein fein verästelter Übergangsbereich zwischen Meer und Land. Die Flut und der Wind könnten die Ölbrühe tief in die Marschen hineintreiben. Eine gründliche Säuberung wäre fast unmöglich, weil Helfer hier auf dem weichen Sumpfboden nicht einmal stehen können.

"Wenn die Salzmarschen und Seegrasbetten direkt mit dem Öl in Berührung kommen, wird die Erholung Jahre dauern", prophezeit der Ökologe Tom Minello von der US-Meeresbehörde NOAA. In den Sumpfgebieten wimmelt es bislang von Leben. Die fruchtbaren Ablagerungen des Mississippi lassen Krebse, Krabben und Muschelbänke gedeihen.

Es gibt Fische und Wasservögel, Alligatoren und Schildkröten. Das Öl bedroht aber nicht nur die Lebensgrundlage von Tieren, sondern auch die vieler Menschen: Seit Jahrhunderten leben Fischer an der Küste und an den Bayous, den Wasserarmen im Sumpfland. 40 Prozent der US-Produktion an Krustentieren stammen aus dieser Gegend des Bundesstaates Louisiana.

Erinnerungen an Katrina werden wach

Gouverneur Jindal sieht sich an den Hurrikan "Katrina" erinnert, der seinen Staat 2005 verwüstet hatte. "Wir müssen für das Schlimmste gewappnet sein", sagte er nach einem Flug über den Ölteppich. "Wir gehen dieses Problem so an, als handle es sich um einen herannahenden Hurrikan."

Erste Versuche zum kontrollierten Abfackeln des Öls sind laut dem Förderkonzern BP erfolgreich verlaufen. Dabei treiben Schiffe das Öl an besonders konzentrierten Stellen in Schwimmbarrieren zusammen und setzen es in Brand. Giftige Rauchschwaden steigen auf, schädliche Rückstände bleiben im Meer zurück. Allerdings ist diese drastische Methode nur dort möglich, wo das Rohöl puddingdick konzentriert und deshalb brennbar ist. Rund 97 Prozent des Ölteppichs bestehen indes aus einem dünnen Wasser-Öl-Gemisch, das nicht brennbar ist.

Umweltschützer sehen diese Methode so oder so mit Skepsis. Ein Greenpeace-Experte erklärte, das Abfackeln sei keine Lösung. Der allergrößte Teil des Ölteppichs sei so dünn, dass man das Öl gar nicht anzünden könne, sagte Christian Bussau sagte dem MDR. Zudem entstehe beim Abbrennen eine riesige Rauchwolke mit sehr viel Ruß. Seiner Meinung nach sollten sich die Behörden auf ein "mechanisches Säubern der Küsten konzentrieren, auf das Abdichten des Lecks am Meeresboden und natürlich versuchen, das Öl auf See abzupumpen".

BP und Obama unter Druck

BP hat bat das US-Verteidigungsministerium offiziell um Hilfe im Kampf gegen die Ölpest. Dabei gehe es vor allem um militärische Unterwasserausrüstung, die zivile Unternehmen nicht zur Verfügung hätten, sagte ein Firmensprecher am Donnerstag. BP hat die Bohrinsel gemietet, die in der vergangenen Woche explodiert und schließlich gesunken war.

BP sicherte zu, "alles zu tun, um die Auswirkungen dieses Ereignisses zu minimieren". Nach Angaben des Ölmultis ist bereits der größte Einsatz aller Zeiten zur Eindämmung eines Ölteppichs im Gange. Bislang konnten die Lecks jedoch auch mit Unterwasser-Robotern nicht abgedichtet werden. Analysten schließen inzwischen deutliche Belastungen für den Konzern nicht mehr aus. Die BP-Aktie verlor am Donnerstag mehr als 6,5 Prozent an Wert.

Doch nicht nur BP sieht sich zunehmend in die Enge getrieben. Auch Obama steht unter wachsendem Druck, da er sich erst kürzlich dafür ausgesprochen hatte, weitere Öl- und Gasbohrungen vor der US-Atlantikküste zuzulassen. Der Vorfall im Golf zeige, "dass dies trotz aller technischer Fortschritte immer noch ein riskantes Geschäft ist", sagte ein Sprecher der einflussreichen Naturschutzorganisation Sierra Club.

(RTR/AFP/AP/nbe)
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