"Würdevolles" Schlagen? Papst-Äußerung entfacht neue Debatte um Umgang mit Kindern

Rom · Papst Franziskus hält es für vertretbar, dass Kinder zur Erziehung hin und wieder einen Klaps bekommen. Das hat die Debatte über den Umgang mit Kindern neu entfacht. Auch in der katholischen Kirche.

Die Standpunkte des neuen Papstes in Streitfragen
8 Bilder

Die Standpunkte des neuen Papstes in Streitfragen

8 Bilder
Foto: afp, -

Nicht alles, was in der Bibel steht, muss in alle Ewigkeit Bestand haben. "Erspar dem Knaben die Züchtigung nicht; wenn du ihn schlägst mit dem Stock, wird er nicht sterben." Und das muss erst recht für die gesprochenen Worte des Papstes gelten - mit dem wichtigen Unterschied, dass diese eine aktuell weitaus höhere Brisanz haben. Während die zahlreichen Züchtigungs-Regeln im biblischen Buch der Sprüche keine Beachtung mehr finden, ist die jüngste Auslassung des Papstes zur Prügelstrafe viele Erregungen wert. So hatte Franziskus während seiner wöchentlichen Generalaudienz zu bedenken gegeben, dass es aus seiner Sicht in Ordnung sei, wenn ein Vater seine Kinder schlage, solange er deren Würde achte. Ein Schlag ins Gesicht sei allerdings eine Erniedrigung.

Ein kurzes Statement nur. Und verpackt in die Geschichte eines Vaters, die dem Papst erzählt wurde. Ist vor diesem Hintergrund das Erregungspotenzial vielleicht doch zu hoch? Der Kölner Theologe und Psychotherapeut Manfred Lütz, der das Erzbistum auch bei der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch beraten hat, räumt ein, dass die Erfahrungswelt des Papstes möglicherweise eine andere ist: "In den Slums von Buenos Aires sieht die Welt eben anders aus als in einer gutsituierten Familie in Deutschland. Wir haben in der Kindererziehung eine Entwicklung durchgemacht. Vor 40 Jahren hätten sich die Leute hierzulande noch ganz ähnlich ausgedrückt", sagte er gestern unserer Zeitung.

Manches ist vielleicht tatsächlich ein Missverständnis. Doch zu entschuldigen ist es nicht, zumal gerade der Umgang mit Kindern die katholische Kirche in eine ihrer tiefsten Krise gestürzt hat. Erst ein Jahr ist es her, dass die UN-Kinderrechtskommission dem Vatikan ein katastrophales Zeugnis ausstellte. Und dabei ging es nicht nur um sexuellen Missbrauch. Die katholische Kirche nehme in ihren Einrichtungen Kinder nicht ernst genug, hieß es. Außerdem biete die Kirche Kindern keinen ausreichenden Schutz vor körperlicher Gewalt und unternehme zu wenig, körperliche Züchtigung zu verbieten. 39 Staaten haben die UN-Kinderrechtskonvention mittlerweile unterzeichnet, darunter der Vatikan.

Auch in diesem Kontext müssen die Worte des Papstes gesehen werden. Das Kirchenoberhaupt habe Eltern keineswegs aufgefordert, ihre Kinder zu schlagen, entgegnete gestern Vatikansprecher Federico Lombardi. Geschenkt. Vielmehr habe er sie dazu ermuntert, "zu korrigieren, ohne zu erniedrigen". Selbst aus dieser Erwiderung klingt durch, dass alltägliche Gewalt - wie etwa der volkstümlich so bezeichnete Klaps - in der Kirche noch immer verharmlost wird.

"Es gibt kein würdevolles Schlagen eines anderen Menschen", betonte gestern der Vorstandsvorsitzende der Kinderhilfe, Rainer Becker. "Schläge demütigen den Geschlagenen, ganz gleich aus welcher Motivation heraus sie erfolgen und ganz gleich wohin sie gehen, weil der Geschlagene vom Schlagenden unterworfen wird." Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) nannte jegliche Gewalt gegen Kinder "vollkommen inakzeptabel". "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig", hieß es aus dem Ministerium. Und der Bund der katholischen Jugend in Deutschland ließ gestern verlauten: "Wir halten das Schlagen von Kindern für nicht vereinbar mit ihrer Würde. Der Papst hat leider bei seiner Betonung, dass die Würde des Kindes zu achten ist, nicht die Konsequenz gezogen, körperliche Strafen ganz abzulehnen."

Vor dem Hintergrund der weiterhin schleppenden Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche gehören die jüngsten Papst-Worte nicht einfach in die Reihe anderer, flapsig gemeinter Bemerkungen - etwa zum Kinderreichtum von Katholiken wie auch zur Gewaltbereitschaft des Papstes gegenüber jenen, die seine Mutter beleidigten. Vielmehr scheinen sie deutlich zu machen, dass es in der katholischen Kirche im Umgang mit Kindern grundsätzlich an Sensibilität mangelt. Auch ein Klaps ist ein Delikt. Darüber ist auch in Deutschland bei zwei prominenten Kirchenvertretern befunden worden: beim zurückgetretenen Augsburger Bischof Walter Mixa sowie beim Papstbruder Georg Ratzinger, der bei den Chorproben seiner Regensburger Domspatzen einst die ein oder andere "Watschn" erteilt habe. Entschuldigungen folgten in beiden Fällen, ohne jedoch umfassende Wirkung für die katholische Lebenswirklichkeit entfalten zu können.

Nicht alles, was in der Bibel steht, ist auch im 21. Jahrhundert gültig. Einiges - wie dieser Vers aus dem Matthäus-Evangelium - aber schon: "Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort