Tödliche Krankheiten drohen Radioaktivität — die unsichtbare Gefahr

Düsseldorf (RPO). Aus dem Atomkraftwerk Fukushima tritt Radioaktivität aus. Die Bevölkerung soll die Wohnungen nicht verlassen. Doch diese Vorsichtsmaßnahme wird die Menschen vor drohenden gesundheitlichen Folgen nicht bewahren.

12. März: Erste Explosion im AKW Fukushima-Daiichi
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Düsseldorf (RPO). Aus dem Atomkraftwerk Fukushima tritt Radioaktivität aus. Die Bevölkerung soll die Wohnungen nicht verlassen. Doch diese Vorsichtsmaßnahme wird die Menschen vor drohenden gesundheitlichen Folgen nicht bewahren.

Eine Explosion in der Atomanlage Fukushima hat das Dach und Mauern eines Reaktorgebäudes zerstört. Zuvor hatte es in dem Werk nordöstlich von Tokio Medienberichten zufolge eine Explosion gegeben. Ein japanischer Regierungssprecher hat die Lage nach der Explosion im Atomkraftwerk Fukushima als eine "vermutlich sehr ernste Situation" bezeichnet.

Die Radioaktivität um die Anlage herum ist derzeit 20-mal höher als gewöhnlich. Die japanische Regierung hat den Evakuierungsradius um die beschädigten Kernkraftwerke auf mittlerweile 20 Kilometer ausgeweitet. Der japanische Fernsehsender NHK rät den Leuten in der Region, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Zudem sollten Türen und Fenster geschlossen sowie Klimaanlagen abgeschaltet bleiben.

Menschen im Freien sollten sich wenn möglich die Atemwege mit Masken, Hand- oder Taschentüchern bedecken. Diese Vorsichtsmaßnahmen können sie zwar vor akuter Strahlenkrankheit mit Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und brennende Augen schützen.

Vor den Langzeitfolgen werden sie sie aber nicht bewahren. "Die Leute müssten weg aus dem verstrahlten Gebiet und zwar weit weg. Am besten Hunderte von Kilometern", sagt Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz. Doch Japan ist eine dicht besiedelte Insel, die Fluchtmöglichkeiten sind beschränkt.

Medizinisch gibt es wenige Möglichkeiten, die Bewohner zu schützen. Wenn radioaktives Material austritt, können Jodtabletten die Schilddrüse vor Strahlenschäden bewahren. Das Organ braucht Jod, um normal zu funktionieren. Es bezieht den Stoff üblicherweise aus der Nahrung, aber auch aus der Umgebung.

Tabletten mit unbelastetem Jod sättigen vorsorglich den Bedarf des Organs und verhindern, dass es die radioaktive Variante einbaut, die es von innen heraus zerstören würde. Die Konsequenz kann Schilddrüsenkrebs sein. Aber auch andere Schilddrüsenleiden, vor allem Autoimmunerkrankungen, können entstehen. Betroffene müssen dann den Rest ihres Lebens medizinisch betreut werden, sagt Sebastian Pflugbeil.

Hohe Dunkelziffer möglicher Folgeerkrankungen

Welche Auswirkungen die austretende Radioaktivität für die japanische Bevölkerung tatsächlich haben wird, ist noch nicht vorherzusehen. Denn das Ausmaß der durch die Strahlung verursachten Schäden hängt von der Höhe und Dauer der Exposition ab.

Unmittelbar nach dem Vorfall in Tschernobyl erkrankten mehr als 130 Arbeiter und Feuerwehrleute an akuter Strahlenkrankheit. Im selben Jahr starben 28 davon, weitere 19 in den folgenden Jahren. Für andere mögliche Folgeerkrankungen, die sich schleichend über Jahre entwickeln, existiert kein Register und entsprechend eine hohe Dunkelziffer.

Die gesundheitlichen Auswirkungen des Reaktorunglücks in Tschernobyl, vor allem die Zunahme von Schilddrüsenkrebserkrankungen, lassen aber zumindest Rückschlüsse für Japan zu.

Hauptsächlich steht Radioaktivität unter dem Verdacht, neben Schilddrüsenkrebs weitere Tumorerkrankungen auszulösen, vor allem Leukämien, aber auch Brustkrebs, Hodenkrebs, Blasen- und Leberkrebs. Kinder sind besonders gefährdet, Tumore zu entwickeln, sagt der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz.

Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl stieg laut Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit unter den Kindern in Weißrussland die Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs dramatisch an. Da sich in ihrem heranwachsenden Organismus die Körperzellen besonders häufig teilen, erhöht sich die Strahlenbelastung besonders rasch.

Soziale Probleme der Opfer belasten die Gesundheit

Als weitere Folgen ionisierender Strahlung gelten zudem verringerte Fruchtbarkeit von Frauen und Männern, ein Anstieg der Zahl von Totgeburten, der Säuglingssterblichkeit und vermehrt Missbildungen von Kindern, darunter Neuralrohrdefekte, Kiefer-Gaumen-Spalte oder Fehlbildungen des Herzens. Zudem drohen eine Verminderung der Intelligenz und eine Verschlechterung des gesundheitlichen Allgemeinzustands von Kindern.

Erwachsene aus der Region von Tschernobyl zeigten außerdem vermehrt Herz-Kreislauf-Erkrankungen, darunter Herzinfarkt und Schlaganfall. Aber auch psychische Probleme sind die indirekten Folgen des Atomunglücks. Die Betroffenen litten zum einen an Ängsten über die Auswirkungen des Vorfalls, vor allem vor den Folgen der Strahlung. Zum anderen verschlechterte sich für viele ihre soziale Situation durch Evakuierung und Umsiedlung, weshalb die Alkoholismusrate sehr hoch ist.

Für die Bewohner rund um Tschernobyl kam zum Super-Gau erschwerend hinzu, dass es sich um eine der wirtschaftlich ärmsten Regionen Russlands handelte. Die Opfer der Katastrophe bekamen kaum medizinische Hilfe und nur geringe soziale Unterstützung von der Regierung der damaligen Sowjetunion.

Die Menschen in Japan dagegen leben in einem hochindustrialisierten wohlhabenden Land. Zwar können auch sie sich Gesundheit nicht kaufen. Aber zumindest stehen ihnen Mittel zur Verfügung, die Folgen der radioaktiven Kontamination abzumildern.

Mit freundlicher Genehmigung von "Focus Online".

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