Flaktürme mitten in Wien Streit um Wiener Nazi-Festungen

Wien (RP). Sechs monströse Flaktürme stehen seit dem Krieg mitten in Wien, von den Nazis einst zur Abwehr feindlicher Bomber und zu Propagandazwecken errichtet. Nun will die Stadtverwaltung zulassen, dass ausgerechnet der aus historischer Sicht wertvollste der Beton-Kolosse in einen Datenspeicher umgebaut wird. Dagegen regt sich Protest.

"Man gewöhnt sich daran", sagt eine junge Frau. Die Leute im Arenbergpark im dritten Wiener Gemeindebezirk haben die beiden aus nationalsozialistischer Zeit stammenden Flaktürme schon in ihre Freizeitgestaltung integriert. Im Schatten der bedrohlichen, von Wind und Wetter erodierten Stahlbetonmauern toben Kinder unbeschwert auf Spielgeräten herum. Der geschichtliche Hintergrund interessiert eher beiläufig: "Damit ham' die Nazis Wien verteidigen wollen, gegen die Amis und die Engländer", erzählt ein Rentner auf einer Parkbank. Das Kriegsende verkürzt er auf den Satz: "Aber dann san' eh die Russen kommen."

Jetzt will die Stadt Wien als Eigentümerin den Flakturm im Arenbergpark für eine kommerzielle Nutzung freigeben. Eine Privatfirma beabsichtigt, einen Datenspeicher einzubauen — mit den historischen Mauern, die einst Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge errichten mussten, als absolut undurchdringlichem Sicherheitssystem. Das sorgt für Proteste.

Die beiden Wiener Historikerinnen Ute Bauer und Heidemarie Uhl sind strikt gegen die Pläne. "Im Arenbergpark steht der letzte Turm, der noch im Originalzustand erhalten ist", sagt die Architekturhisorikerin Bauer. Keiner der steinernen Zeugen des Luftkriegs über Wien würde sich als NS-Mahnmal besser eignen, denn er symbolisiere perfekt Hitlers Vernichtungsmaschinerie. Bauer hat über die insgesamt sechs Wiener Flaktürme die erste wissenschaftliche Arbeit verfasst und betreibt mit Kollegin Uhl ein Forschungsprojekt darüber.

Unter dem Schutt von mehr als sechs Nachkriegsjahrzehnten wurden erst vor wenigen Jahren noch viele authentische Spuren geborgen und gesichert. "Die würden durch den Umbau in einen Datenspeicher zerstört werden", befürchtet Uhl. "Wir prüfen noch, es ist nichts entschieden", beschwichtigt ein Sprecher des Wiener Magistrats. Im Übrigen würde der Datenspeicher ja nur einen Teil des Turms belegen, der Rest könne ja als NS-Mahnmal erhalten bleiben.

Bauer hält dies für unrealistisch: "Ein Datenspeicher erfordert einen hohen Sicherheitsstandard, eine Privatfirma würde eine öffentliche Nutzung wohl nicht zulassen." Politische Unterstützung erfahren die beiden Wissenschaftlerinnen bisher nur von den Grünen: Gemeinderätin Sabine Gretner fordert eine "sachliche Diskussion aller Beteiligten" und wirft den sozialdemokratischen Stadtoberen vor, historische Stätten "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" verscherbeln zu wollen.

"Milano e poi morire" (Mailand und dann sterben), ritzte ein italienischer Zwangsarbeiter seine Sehnsucht an die Betonmauer. Auch Uniformteile, haufenweise Papierfetzen, ganze Aktenordner, Soldatenbriefe und anderes mehr geben Aufschluss über die letzten Kriegstage in Wien. So fand sich auch eine Bestellung vom Februar und März 1944 über 1073 Flaschen Wein. Die Flak-Besatzung ließ es sich offenbar gut gehen, während die Zivilbevölkerung unter Bomben und Hunger litt. An der Außenwand sind noch Hinweise wie "Mutter u. Kind" oder "Nur Soldaten der Wehrmacht in Uniform" lesbar. Die Flaktürme dienten seinerzeit auch als Schutzbunker.

Die Nazis bauten insgesamt 16 dieser Flaktürme, in Hamburg, Berlin und Wien. Den ersten von sechs Türmen in der einstigen "Ostmark" ließ Hitler im Herbst 1942 errichten. Beauftragt wurde der deutsche Architekt Friedrich Tamms, die Ausführung oblag der auf der Errichtung militärischer Anlagen spezialisierten "Organisation Todt". Noch kurz vor Kriegsende, Anfang 1945, wurde der letzte Flakturm im Augarten zu Ende gebaut.

Alle Türme wurden paarweise, je ein Leit- und ein Gefechtsturm, um das Stadtzentrum errichtet. Außer im Arenbergpark steht noch je ein Turm im Esterhazypark und schräg gegenüber in der Stiftskaserne. Ein weiteres graues Turmpaar im Augartenpark bildet den krassen Kontrast zum gleichnamigen, nahe gelegenen Barockpalais, das heute das Internat der Wiener Sängerknaben beherbergt.

Die Standorte machten militärisch wenig Sinn, sagt die Historikerin Uhl. Feindliche Bomber hätte man genau gut auch von Stellungen am Stadtrand Wiens abschießen können. Die Flaktürme seien vielmehr in Stahlbeton gegossene Nazi-Propaganda: Die Bevölkerung sollte glauben, das Deutsche Reich sei unangreifbar und uneinnehmbar. Für die Zeit nach dem "Endsieg" war übrigens eine Verkleidung der Türme im klassischen Stil geplant, welche sie in das Stadtbild wie antike Festungen integrieren sollte.

Nur aus diesem Grund wurden auch einige Fensteröffnungen eingebaut, die im Kriegseinsatz eher Schwachstellen bildeten. Von "Schießdomen" und der "Stadtmauer des 20. Jahrhunderts" sprach man damals und verschwieg freilich die zynische Absicht, sie mitten in Wohngebieten zu errichten: Im "totalen Krieg" hatten die Nazis die Gefährdung der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Aus Mangel an Soldaten mussten sogar 15-Jährige an die Geschütze.

Die Wiener, virtuos im Verdrängen der NS-Geschichte, tun bis heute einfach so, als wären diese Kriegsmonumente — trotz ihrer kolossalen Höhe von 45 bis 55 Metern und ihrer meterdicken Betonmauern — nicht vorhanden. Seit 1945 werden lustlose Debatten geführt, ob man sie abreißen oder in anderer Weise nutzen solle. "Es wird kein Erinnerungswille ausgedrückt, das ist schon sehr bezeichnend für den Umgang Österreichs mit seiner Vergangenheit", kritisiert Bauer.

Richtig ist, dass an keinem der Türme je Gedenk- oder Informationstafeln angebracht wurden, Führungen werden bis heute nicht angeboten. Immerhin: Fünf der sechs Türme stehen unter Denkmalschutz, was aber kommerzielle Nutzung nicht ausschließt.

Sichtbares Beispiel landesüblicher Geschichtsverdrängung ist der Flakturm im Esterhazypark. Seit 1958 als Aquarium genutzt, ging mittlerweile der historische Hintergrund fast völlig verloren. Die Monstrosität des Turms wird mit dem poetischen Namen "Haus des Meeres" aufgehübscht, in dem Haie, Rochen und Riesenschildkröten hinter gläsernen Wänden und Farblichtspielen ihre Kreise ziehen. Ein gutes Geschäft, das jährlich 350 000 Besucher anlockt. 1999 wurde an der Außenfassade eine Glaskonstruktion angebaut, seither können Besucher auch durch einen kleinen Tropengarten spazieren.

Die historische Bedeutung wird bislang nur alibihaft abgehandelt. So findet sich im obersten Stockwerk ein kleines Museum, Attraktion ist die mit Original-Gegenständen nachgestellte "Kommandozentrale". Und vor Jahren versuchte ein amerikanischer Künstler, im Rahmen eines Projekts der Wiener Festwochen die ursprüngliche Identität des Flakturms in Erinnerung zu rufen. Oberhalb der Plattform prangt seither in Riesenlettern die Anti-Kriegs-Parole: "Zerschmettert in Stücke im Frieden der Nacht".

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