Libanon Syrische Flüchtlinge werden sexuell ausgebeutet

Tel el-Hajat · Der Bürgerkrieg in Syrien hat allein eine Million Menschen in den Libanon vertrieben. Mancher Einheimische nutzt die Not der geflüchteten Frauen aus. Sozialarbeiter berichten über sexuelle Belästigungen.

 Umm Jamil ist aus Syrien geflüchtet und lebt in Libanon. Sie kümmert sich um ihren 19-Jährigen behinderten Sohn und berichtet, dass sie fälschlicherweise der Prostitution bezichtigt wurde.

Umm Jamil ist aus Syrien geflüchtet und lebt in Libanon. Sie kümmert sich um ihren 19-Jährigen behinderten Sohn und berichtet, dass sie fälschlicherweise der Prostitution bezichtigt wurde.

Foto: ap

"Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es mit mir einmal so weit kommt", sagt die 38-jährige Samar. Die Mutter von sechs Kindern gehörte in Syrien zur Mittelschicht. Doch seit ihr Mann von Soldaten verhaftet wurde, ist nichts mehr wie es war. Heute haust Samar im Norden des Libanon in einem Raum, den sie Wohnung nennt, und hat sich und die Kinder ein Jahr lang über die Runden gebracht, indem sie sich mit Männern einließ, die ihr die Miete bezahlen.

Vor ein paar Monaten wurde Samar wegen Prostitution verhaftet. Sie ist zwar wieder frei, könnte aber jederzeit angeklagt werden. Außerdem droht ihr ein früherer Liebhaber ständig am Telefon.

Belästigung an der Tagesordnung

80 Prozent der eine Million syrischen Flüchtlinge im Libanon sind Frauen und Kinder. Sie leben zusammengepfercht in billigen Zimmern, Garagen und halbfertigen Häusern. Die ärmsten müssen mit Zeltlagern vorlieb nehmen, viele sind schutzlos.

Mancher Mann nutzt das aus. Immer mehr Frauen beklagen sich über sexuelle Belästigungen. Das beginnt damit, dass Männer in den Zelten der Flüchtlingslager nach Frauen forschen, die allein sind. In der Nähe eines Lagers im Osten des Libanon wurde nach Aussagen zweier Bewohnerinnen eine Teenagerin auf freiem Feld vergewaltigt.

Andere Frauen berichten, sie seien nach ihrem Preis gefragt worden, als sie auf den Bus warteten. Eine weitere erzählt, ihre Freundin sei Hals über Kopf aus der Zahnarztbehandlung geflüchtet, weil der Mediziner ihr unter die Bluse gegriffen habe. Geld für die Behandlung verlangte er trotzdem. Auch Männer, die Hilfsgüter für Flüchtlinge verteilen, werden zudringlich.

"Überlebens-Sex"

Seit kaum noch Miethilfen gezahlt werden, ist die Lage der Flüchtlinge noch prekärer. Früher gab es einmal umgerechnet etwa 150 Euro pro Monat, jetzt müssen die Familien sehen, wie sie das Geld für die Unterkunft anderweitig zusammen bekommen. Manche Frauen betreiben offene Prostitution. Andere wie Samar suchen Beziehungen zu Männern, die sie mit Unterkunft und Essen versorgen können. "Überlebens-Sex" nennen das die Sozialarbeiter.

Verlässliche Zahlen über sexuelle Ausbeutung gibt es nicht, denn viele Frauen schweigen aus Scham. Allerdings nehmen die Fälle von Prostitution zu. Bis Juli dieses Jahres seien unter diesem Vorwurf 255 Personen festgenommen worden, die meisten von ihnen Frauen aus Syrien, sagt ein Polizist, der nicht genannt werden will. Im gesamten vergangenen Jahr gab es nur 205 solche Fälle.

Üblicherweise verlangen die Frauen etwa fünf bis 7,50 Euro für Sex - für den Polizeimann ein Akt der Verzweiflung. "Die meisten von ihnen haben Kinder und sagen: "Es ist zum Überleben, um die Kinder zu ernähren", berichtet er.

Manche Mütter drängen schon 14-Jährige zur Hochzeit, weil sie ihre Töchter nicht mehr schützen können. Sie hoffen, dass der Ehemann für deren Sicherheit sorgt. "Was soll ich tun?", schluchzt eine Frau. "Es ist hart, aber ich kann sie nicht schützen."

Zwangsheirat

Doch auch das funktioniert nicht immer. Das Flüchtlingsmädchen Manal berichtet, sie sei im Alter von 15 Jahren mit einem 23-Jährigen verheiratet worden. Schon kurz nach der Hochzeit habe ihr Mann angefangen sie zu schlagen, weil sie ein Mobiltelefon benutzt und sich seinen sexuellen Vorlieben verweigert habe. Nach einem Monat floh sie. Der Mann verlangte das goldene Hochzeitsgeschenk zurück und verbrannte ihre Kleider. "Er hat mir nichts gelassen", sagt Manal.

Samar berichtet von den Torturen, die sie bei ihren früheren Liebhabern durchgemacht habe. "Ich habe das alles getan, um meine gewohnten Lebensumstände aufrecht zu erhalten", sagt sie. Den Kontakt zu ihrem letzten Liebhaber habe sie abgebrochen. Sie lebe im Zimmer einer Freundin und versuche, sich durchzuschlagen. "Ich möchte jetzt nur noch für meine Kinder sorgen", sagt Samar.

Wenige Tage nach dem Interview mit Samar berichtet ein Sozialarbeiter der Nachrichtenagentur AP, sie habe das Appartement ihrer Freundin verlassen müssen, weil der Vermieter mehr Geld verlange. Samar habe sich einen neuen Liebhaber gesucht.

(ap)
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