Havarie in Fukushima Tepco: Bereuen und Verschleiern

Düsseldorf (RPO). Der japanische AKW-Betreiber Tepco windet sich. Verstrahlte Arbeiter, falsche Messwerte, Plutoniumfunde – das Bild, das die Verantwortlichen von Fukushima abliefern, wirkt von Tag zu Tag beunruhigender. Mehrfach baten die Manager um Entschuldigung. Doch den Beteuerungen mag kaum noch jemand glauben. Auch die Geduld der Regierung scheint aufgezehrt. Sie denkt an Verstaatlichung.

Die Tepco-Bosse verneigen sich
8 Bilder

Die Tepco-Bosse verneigen sich

8 Bilder

Düsseldorf (RPO). Der japanische AKW-Betreiber Tepco windet sich. Verstrahlte Arbeiter, falsche Messwerte, Plutoniumfunde — das Bild, das die Verantwortlichen von Fukushima abliefern, wirkt von Tag zu Tag beunruhigender. Mehrfach baten die Manager um Entschuldigung. Doch den Beteuerungen mag kaum noch jemand glauben. Auch die Geduld der Regierung scheint aufgezehrt. Sie denkt an Verstaatlichung.

Tepco scheint mit der Atomkatastrophe in Fukushima völlig überfordert. Die Serie der Informationspannen und Unzulänglichkeiten wird mit einer verstörenden Verlässlichkeit länger und länger. Entschuldigungen werden zum täglich vollzogenen Ritual. Doch das ohnehin geringe Vertrauen der Japaner hat der Konzern längst verspielt.

Wiederholt musste die Firma der Öffentlichkeit fehlerhafte Angaben eingestehen, Informationen gibt der Betreiber nur häppchenweise preis. Hinzu kommt: Schon in der Vergangenheit gehörte bei Tepco Vertuschen und Verschweigen zum System. Die japanische Regierung hat den AKW-Betreiber wiederholt für Fehlverhalten bestraft, darunter Fälschung von Berichten über die Sicherheit seiner Atomanlagen.

Verstrahlte Arbeiter - eine Übermittlungspanne

Die Schlampereien bei Tepco gingen Ende der vergangenen Woche sogar soweit, dass Menschenleben gefährdet wurden. Drei Arbeiter wurden beim Verlegen von Kabeln im Turbinengebäude so stark verstrahlt, dass sie sich Verbrennungen an den Beinen zuzogen. Bei den Arbeiten im 15 Zentimeter hohen radioaktiven Wasser sollen sie noch nicht einmal Gummistiefel getragen haben. Das Wasser lief ihnen in die Schuhe. Jetzt haben sie mit Symptomen der Strahlenkrankheit zu kämpfen.

Zunächst gab Tepco ihnen eine Mitschuld. Die Arbeiter hätten Geigerzähler dabei gehabt und gewusst, welcher Gefahr sie sich aussetzten. Später zeigte sich: Tepco hatte versäumt, die Arbeiter vor dem Einsatz zu warnen. Im Konzern war von einer "Übermittlungspanne" die Rede. Am Vortag waren dort weder Wasser noch erhöhte Strahlung festgestellt worden. Deswegen hatten die Arbeiter keine Schutzstiefel an. Das radioaktiv belastete Wasser lief ihnen in die Schuhe. Zwei der drei Arbeiter kamen mit Verbrennungen in eine Spezialklinik. Tepco gab den drei verstrahlten Arbeitern eine Mitschuld an ihren Verletzungen. Die Arbeiter hätten Strahlenzähler bei sich getragen, den ausgelösten Alarm aber ignoriert.

Falsche Messungen - ein Versehen

Für den bisherigen Höhepunkt sorgte Tepco am Sonntag. Am Morgen teilte der Kraftwerkbetreiber mit, die gemessene Strahlenbelastung im Wasser von Reaktor 2 sei zehn Millionen Mal so hoch wie normal. Die Messung hatte die sofortige Evakuierung von Arbeitern aus dem Reaktor zur Folge.

Acht Stunden später trat Tepco-Vizepräsident Sakae Muto vor die Presse und erklärte, man habe sich vermessen. Die Firma habe die Angaben einer Maschine, die Wasserproben analysiere, falsch gelesen und ein radioaktives Isotop mit einem anderen verwechselt. Tatsächlich sei die Strahlung im Wasser 100.000 Mal so hoch wie normal. Dieser Wert ist zwar immer noch hoch, aber weit entfernt von der Zahl, die die Menschen in der Atomanlage Stunden zuvor in Panik versetzt hatte.

Zuvor hatte sich Tepco erneut für einen Fehler bei der Angabe zu einem radioaktiven Isotop entschuldigen müssen - die erste Korrektur der Angaben vom Sonntag war falsch, der AKW-Betreiber hatte das Isotop nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal verwechselt. Ein radioaktives Isotop zu verwechseln mag für den Rest der Welt nur nach einem technischen Fehler klingen. Innerhalb der Atomindustrie ist es aber ein grober Fehler. "Diese Art von Fehler ist nicht etwas, das verziehen werden kann", ließ die Regierung am Montag vermelden.

Plutonium - "keine Gefahr für die Öffentlichkeit"

Die nächste Unglaublichkeit spielte sich am Montag ab. Auf dem Gelände des Kernkraftwerks sei Plutonium im Boden gefunden worden, teilte Tepco mit. An fünf verschiedenen Punkten des AKW-Geländes sei das hochgiftige Schwermetall festgestellt worden. Ein Sprecher versuchte gleich, die Sache zu entschärfen. Die festgestellte Menge sei gering und keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Nur zwei der fünf Proben stamme aus beschädigten Reaktoren. Die anderen drei seien auf frühere Atomtests zurückzuführen. Plutonium ist für den menschlichen Organismus hochgiftig, seine Halbwertszeit beträgt 24.000 Jahre.

Doch wer mag Tepco nach all den bisherigen Vertuschungen jetzt noch glauben. Am Dienstag, nur wenige Stunden nach dem Plutoniumfund, bestärkten neue Meldungen die Zweifel .Aus dem havarierten Atomkraftwerk trete offenbar weiterhin hochgiftiges Plutonium aus, hieß es aus Behördenkreisen. Das Schwermetall sickere ins Erdreich ein. Es gebe Hinweise darauf, dass die Radioaktivität von beschädigten Brennstäben stamme, erklärte Regierungssprecher Yukio Edano. "Die Situation ist sehr ernst", sagte Edano zu Journalisten. "Wir tun unser Möglichstes, um den Schaden zu begrenzen."

Japans Regierung macht nicht mehr mit

Mittlerweile erwägt offensichtlich auch die japanische Regierung, dem Treiben von Tepco Einhalt zu gebieten. Nun ist eine Verstaatlichung im Gespräch. "Es ist natürlich, darüber zu diskutieren, wie Tepco in Zukunft funktionieren sollte", sagte der Minister für nationale Strategie, Koichiro Gemba, nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo am Dienstag. Dabei sei eine Verstaatlichung "eine Option". Regierungssprecher Yukio Edano sagte, "zu diesem Zeitpunkt" erwäge die Regierung nicht die Verstaatlichung des Unternehmens. Die Zeitung "Yomiuri Shimbun" berichtete am Dienstag jedoch unter Berufung auf Regierungskreise, die Regierung erwäge bei der Aktiengesellschaft eine Mehrheit zu übernehmen.

Experten für Krisenmanagement sagen, es sei nicht nur sehr wichtig, dass bei Krisen ein zentrales Büro die Öffentlichkeit und die Medien ständig mit Informationen versorge, um wachsenden Ängsten vorzubeugen. Es sei auch entscheidend, dass das zentrale Organ Informationen aus der Atomanlage, von der Regierung, den Kontrolleuren und örtlichen Behörden koordiniere. In Japan wird die Verantwortlichkeit aber häufig verteilt und das Krisenmanagement dadurch gefährdet.

"Alles im Griff"

Wenn man sich die Pannen näher betrachtet, die Tepco seit dem Tsunami am 11. März und den dadurch ausgelösten Problemen in Fukushima-Daiichi unterlaufen sind, fällt der Mangel an Absprachen zwischen Tepco und der japanischen Atomsicherheitsbehörde NISA auf. Die beiden Parteien halten getrennt voneinander Pressekonferenzen ab, ihre Angaben sind oft widersprüchlich.

Tepco-Manager Hikaru Kuroda versuchte jüngst, Zweifel an den Fähigkeiten seiner eigenen Leute zu zerstreuen. Die Arbeiter, die mit der Bewältigung der Atomkrise beauftragt seien, hätten die absolute Kontrolle, sagte er jüngst zu Journalisten. Er habe vielleicht nicht mehr alles im Griff, die Arbeiter aber schon.

(AFP/AP/RTR)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort