Anschläge bei Länderspiel So erlebte unser Reporter die Terrornacht von Paris

Paris · Live vor Ort wollte RP-Redakteur Gianni Costa vom Spiel der deutschen Nationalmannschaft berichten. Dann wurde aus einem Sport-Event ein Alptraum. Hier ist seine sehr persönliche Schilderung, wie er die Anschläge von Paris erlebte.

 Nach dem Spiel im Stade de France: Viele Besucher wollten zunächst lieber im Stadion bleiben - sie wussten nicht, was sie draußen erwartet

Nach dem Spiel im Stade de France: Viele Besucher wollten zunächst lieber im Stadion bleiben - sie wussten nicht, was sie draußen erwartet

Foto: RP/Gianni Costa

Es ist kurz nach zwei in der Nacht. Ich sitze in meinem Hotelzimmer und denke an meine Familie zu Hause. Meine Frau. Meinen Sohn. Um mich selbst habe ich keine Angst. Ich mache mir Gedanken um meine Lieben, wie die sich Sorgen machen, wenn sie aufstehen und mitbekommen, was da Schreckliches in Paris geschehen ist. In der Stadt, in der ich jetzt bin. Ich wollte ein Fußballspiel sehen. Nationalmannschaft. Alles ist immer ganz wichtig, alle nehmen sich ganz wichtig. Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Es ist komplett egal.

 Einsatzwagen der Polizei vor der Arena

Einsatzwagen der Polizei vor der Arena

Foto: RP/Gianni Costa

Es hat alles so begonnen wie immer. 70.000 Zuschauer. Die Nationalhymnen. Die Franzosen haben die Marseillaise geschmettert, als gäbe es kein Morgen. Was für eine stolze Nation, habe ich mir gedacht. Welche Kraft wird durch diesen großen Chor ausgesandt in die Welt.

Nach etwa 15 Minuten gibt es plötzlich einen lauten Knall. Auf der Tribüne witzeln ein paar Kollegen: "Endlich mal ein Knaller." Das Spiel plätschert bis dahin so vor sich hin. Kurz danach die nächste Detonation. Die französischen Fans pfeifen, weil sie deutsche Hooligans als Übeltäter vermuten. Ein paar Chaoten waren tatsächlich nach Frankreich gereist und wollten Stunk machen. Die Detonationen waren aber für einen normalen Böller zu laut, das Stadion zitterte sogar leicht. Ein paar Minuten vor dem Halbzeitpfiff geht die Équipe Tricolore in Führung. Später ist ein dritter Knall zu hören.

Erste Gerüchte machen die Runde: Ein englischer Kollege sagt mir, eine Bombe sei explodiert. Ich nehme ihn nicht ernst und denke, er will sich nur wichtig machen.

Augenblicke später die ersten Meldungen in den sozialen Netzwerken. Aus Gerüchten wird Gewissheit. Aber niemand von uns im Stadion kann das Ausmaß zu diesem Zeitpunkt abschätzen. Die Rede ist von einer Schießerei. Das kann alles und nichts heißen. In einer Großstadt wie Paris passieren jeden Tag fürchterliche Dinge. Menschen sterben. Die ersten Zahlen von Opfern kursieren. Erst ein paar Verletzte, dann ist klar, es sind wohl viele Tote.

Auf der Pressetribüne wird berichtet, das Stadion sei abgeriegelt worden. Offenbar haben nun auch Teile des Publikums davon gehört. Auf der Gegengerade leeren sich etwa 15 Minuten vor dem Ende viele Plätze. Es herrscht keine Panik, es ist so, als würden die Fans einfach früher gehen, um dem obligatorischen Stau hinterher zu entgehen. Es ist ein Freundschaftsspiel.

Es gibt drei Minuten Nachspielzeit. Der Stadionsprecher sagt durch, dass nicht alle Ausgänge offen seien. Plötzlich bricht Hektik aus. Menschen strömen zurück in die Arena. Es kommt zu Tumulten, einige stürzen, es gibt zum Glück aber nur wenige Verletzte. Auf dem Rasen sind ein paar Tausend Menschen. Sie sind ganz ruhig, besonnen. Es eine gespenstische Stimmung. Es muss nicht viel gesagt werden, um zu begreifen, was zu tun ist: keine Panik. Das sagt sich leicht. Aber bei der Vorstellung, dass offenbar Terroristen versucht haben, in das Stadion zu gelangen, macht man sich besser keine Gedanken, was dann passiert wäre.

Die Ordnungskräfte im Stadion reagieren besonnen. Sie werden auch nicht belagert, sondern können ihren Job machen. Nach etwa 45 Minuten können die Zuschauer das Stadion verlassen. Viele wollen das aber gar nicht. Was erwartet einen da draußen? Es sickern nur wenige Informationen durch. Metros sollen nicht mehr fahren, ganze Stadtteile abgesperrt sein. Wie soll man sein Hotel erreichen?

In diesem Moment wachsen Menschen über sich hinaus. Taxis transportieren gratis Passagiere, es werden Fahrgemeinschaften gebildet. Anwohner stehen vor ihren Häusern und bieten Suchenden einen Schlafplatz an, die nicht weiter wissen — ganz gleich, welcher Herkunft und Hautfarbe.

Ich sehe viele Spezialeinheiten der Polizei. Die Spurensicherung, die rund um die Arena Beweise sicherstellt. Immer wieder Sirenen, Hubschrauber, die über einem kreisen. Die Frage ist in diesen Stunden für uns: Wo sind wir sicher? Welchen Weg sollen wir gehen? Ich laufe einfach. Irgendwann merke ich, dass ich nicht mehr weiß, wo ich eigentlich bin. Zwei algerische Jungs wollen mir erst erklären, wie ich zurück zum Hotel finde. Es wird ihnen offenbar schnell klar, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin, und begleiten mich ein gutes Stück.

Gegen halb zwei bin ich zurück im Hotel. Ich bin einfach nur leer. Traurig. Wütend. Ich trinke mit einem Kollegen ein Bier. Wir haben vor dem nächsten Morgen Angst. Aber es wird weitergehen. Irgendwie.

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