Explosionsunglück in Tianjin Die Chinesen fürchten nun die Umwelt-Katastrophe

Tianjin · Nach den Explosionen auf dem Hafengelände der nordchinesischen Metropole Tianjin geht die Angst vor giftigen Chemikalien um. Die Katastrophe wirft auch ein Schlaglicht auf den häufig allzu sorglosen Umgang mit Gefahrgütern in China.

Tianjin: Bild der Verwüstung nach Explosionen in China
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Bild der Verwüstung nach Explosionen in China

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Auf Berichte über hochgefährliche Stoffe und Sorgen über mögliche giftige Gase demonstriert Gao Huaiyou, Direktor des Amtes für Produktsicherheit von Tianjin, am Freitag vor der Presse nur Unwissenheit: "Ich kann ihnen gegenwärtig keine genauen Angaben über die Art und Mengen der gefährlichen Chemikalien in dem Lager machen." Es gebe nur "unvollständige Informationen". So müsse weiter ermittelt werden.

Kein Wunder, dass sich viele Menschen fürchten. "Ich habe Angst vor giftigen Stoffen in der Luft", sagt die 52 Jahre alte Wang Jingzhong der Deutschen Presse-Agentur. "Wir sollten Schutzmasken tragen." Der 31-jährige Zhang Hao sagt: "Natürlich bin ich besorgt." Als Beweis, dass etwas getan wird, wiederholt das Staatsfernsehen immer wieder Bilder von 200 Spezialisten für die Abwehr chemischer, biologischer und atomarer Kampfstoffe (ABC-Truppe), die entsandt wurden.

Soldaten in Schutzanzügen spritzen sich vor der Kamera demonstrativ gegenseitig ab. Aber ob die Experten schon im Trümmerfeld tätig sind, bleibt unklar. Auf jeden Fall warnen sie vor möglichen giftigen Gasen und empfehlen Bergungstrupps im Zentrum der Unglücksstelle "schwere Schutzkleidung". Auch sollten sie sich "mit dem Wind" bewegen, wie Du Jiang, der Politkommissar der Truppe, in Staatsmedien zitiert wird.

Wie so häufig bei großen Unglücken dürfen chinesische Medien nicht mehr selbst recherchieren und müssen die Berichte der Staatsagentur Xinhua übernehmen. Doch die Pekinger Zeitung "Xinjingbao" (Beijing News) demonstriert Mut angesichts der Gefahr: 700 Tonnen hochgiftigen Natriumcyanids seien gelagert gewesen, berichtet das Blatt. Schlimmer noch: Im Abwasser seien schon Spuren gefunden worden.

Tianjin: Explosionen schüttern chinesische Metropole
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Schwere Explosionen erschüttern Tianjin

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Wenn dieses Salz der Blausäure mit Wasser oder Regen in Kontakt kommt, entwickeln sich nach Angaben von Experten brennbare Gase. Überhaupt darf das gefährliche Natriumcyanid, das meist in der Metallindustrie zum Einsatz kommt, auf keinen Fall in die Umwelt gelangen. Es werden noch andere giftige Chemikalien genannt: Kaliumnitrat, das auch Steinkohlenteeröl genannte Toluoldiisozyanat oder auch Kalziumkarbid - alle hochgefährlich.

Auf jeden Fall hatte Ruihai Logistik, dessen Lagerhaus explodierte, eine Lizenz zum Transport dieser Stoffe. Es war neben dem Staatskonzern Sinochem das einzige Unternehmen in China, das Natriumcyanid transportieren und lagern durfte. Dafür war vor ein paar Jahren ein gewöhnliches, 46.000 Quadratmeter großes Lagerhaus im Hafen von Tianjin umfunktioniert worden.

Dass Sicherheitsvorschriften verletzt wurden, steht außer Frage. Sechs Manager von Ruihai Logistik wurden laut "China Daily" festgesetzt. "Die Explosionen in Tianjin wecken Fragen über Schlupflöcher in den Sicherheitsvorkehrungen des Unternehmens und die Lage des Lagerhauses", schreibt die "Global Times" auch unter Hinweis auf drei Wohnblocks, die weniger als die vorgeschriebenen 1000 Meter von Gefahrgutlager entfernt stehen und schwer beschädigt wurden.

Die Umweltbehörden testen jetzt Luft und Wasser und versichern den zehn Millionen Einwohnern von Tianjin, dass die Luft "normal" sei. Überhaupt sei der Rauch der schweren Explosionen am späten Mittwoch längst auf das offene Meer hinausgezogen. Aber sicherheitshalber seien Abflüsse des Hafengeländes geblockt worden, berichten Behördenvertreter. Überhaupt scheint das Rohrsystem zerstört zu sein.

Das Unglücksgelände sei abgeriegelt und die Gefahr unter Kontrolle, beteuern die Behörden. Berichte, dass Bergungstrupps das gefährliche Natriumcyanid jetzt abtransportieren sollen, werden dementiert. Regierungschef Li Keqiang verspricht zwar eine "offene und transparente Informationspolitik", aber der Bericht der "Xinjingbao" über das schlimme Gift wird im Internet gelöscht. Ebenso verschwinden Beiträge in sozialen Medien mit Begriffen wie "Tianjin" oder "Explosionen", was das Misstrauen im Volk am Ende nur noch verstärkt.

(dpa)
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