Alle 17 Jahre wieder USA erwarten Invasion der Zikaden

Washington · Alle 17 Jahre wird die Region um Washington von einer Invasion singender Zikaden heimgesucht – in diesem Monat ist es wieder so weit. Obwohl die Insekten nicht stechen, fürchten viele ihr Massenauftreten. Forschern gibt es Rätsel auf.

Spinnen-Inavsion in Australien
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Alle 17 Jahre wird die Region um Washington von einer Invasion singender Zikaden heimgesucht — in diesem Monat ist es wieder so weit. Obwohl die Insekten nicht stechen, fürchten viele ihr Massenauftreten. Forschern gibt es Rätsel auf.

Die Menschen an der US-Ostküste warten auf ein Naturwunder, das alle 17 Jahre wiederkehrt, ohne dass Forscher die Gründe dafür erklären könnten. Es ist ein Naturspektakel, das einen Höllenlärm entfaltet und nach fünf bis sechs Wochen verschwindet, als sei nie etwas gewesen. Die Rede ist von Magicicada septendecim, der Invasion der periodischen Zikade.

Irgendwann Ende Mai werden Millionen dieser Wesen, wie von einem unsichtbaren Regisseur dirigiert, aus ihrem Tunnellabyrinth auftauchen — genau in dem Moment, in dem sich der Boden auf 18 Grad Celsius erwärmt hat. Von dort kriechen sie in aller Regel auf Bäume, wo die männlichen Vertreter der Spezies in ohrenbetäubendem Chor nach den Weibchen rufen.

Angeblich hört es sich an wie ein Konzert von Rasentrimmern. Andere vergleichen es mit dem Geräusch eines New Yorker Subway-Zugs, der auf zu alten Gleisen dahinrattert. Tags und nachts. Das mag übertrieben sein, auf alle Fälle klingt es nach anhaltender Ruhestörung.

Magicicada septendecim wird bis zu fünf Zentimeter lang, ist oben schwarz, hat auf der Unterseite orangefarbene Streifen, dazu transparente Flügel, die mit ihrer Farbenpracht an bunt bemalte Kirchenfenster erinnern. Ihr Markenzeichen sind hervorstechende rote Augen. Weder beißt sie, noch sticht sie. Im Grunde handelt es sich um ein harmloses Geschöpf, dennoch hat man der Zikade, so sie denn in großen Mengen auftritt, einen Namen verpasst, der an den Titel eines Alfred-Hitchcock-Films denken lässt.

Fünf bis sechs Wochen Orgie

Der demnächst fällige Schwarm heißt "Brood II", es handelt sich um den Nachwuchs jener Insekten, die sich 1996 in Washington blicken ließen. Die Männchen locken und singen, paaren sich, die Weibchen legen Eier in Baumrinden ab, die als Larven zu Boden fallen und sich eingraben, so dass der Zyklus von vorne beginnen kann. Nach fünf bis sechs Wochen Sex-Orgie, so nennen sie das hier, bei aller Prüderie im Lande der Puritaner, ist der Zauber vorbei. Der Spuk, würde Bloggerin Lori Milani sagen. Vielleicht liegt es daran, dass die Tierchen nicht die geschicktesten Flieger sind und tollpatschig gegen Fenster- und Autoscheiben und Spaziergänger taumeln. Jedenfalls schreibt Lori Milani in ihrem Blog, dessen Titel schon Milanis Haltung zu den Insekten verrät: Cicadaphobia.

Falls sie eintreten, die Prognosen, die eine wahre Invasion vorhersagen, wird Lori Milani ihre Vorratsschränke überreichlich mit Reis und Spaghetti füllen, sich wochenlang nicht im Freien blicken lassen und ihre Büroarbeit daheim, in der grünen Satellitenstadt Arlington, am Laptop erledigen. Was eine ausgewachsene Phobie ist, ahnt man schon, wenn man ihren neuesten Eintrag liest. "Im Bus können meine Augen nicht aufhören, sämtliche Baumstämme, Äste und Blätter auf dem Weg zur U-Bahn nach Zeichen abzusuchen: erwachsene Tiere, deren Flügel aushärten; gespensterhafte Fast-Erwachsene, die gerade ihre Hüllen abgelegt haben; Larven, die aus ihren Höhlen kriechen. Und in der Bahn zerbreche ich mir den Kopf darüber, welcher meiner Mitpassagiere die Biester in seinem Haar mit sich herumtragen könnte."

Zeitreise

Dabei bietet Magicicada septendecim die Gelegenheit, die Zeitgeschichte ein wenig an sich vorüberziehen zu lassen. Beim letzten Mal, als "Brood II" ans Tageslicht strebte, residierte noch Bill Clinton im Weißen Haus, Notenbank-Chef Alan Greenspan warnte vor Überschwang an den Finanzmärkten, in Manhattan standen noch die Zwillingstürme, und niemand konnte via Twitter in maximal 140 Zeichen vermelden, wie großartig oder widerwärtig er das Spektakel Magicicada findet. Auf Capitol Hill schoben sich Demokraten und Republikaner die Schuld für die wochenlange Schließung des halben Regierungsapparats in die Schuhe, nachdem der Kongress gescheitert war bei dem Versuch, einen Etat zu beschließen. Daran sieht man, wie konstant manche Dinge doch sind.

(RP/jco/csi/jre)
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