Über 30 Jahre nach Kalinkas Tod Vater wegen Entführung des Täters vor Gericht

Mulhouse · Die junge Kalinka starb vor mehr als 30 Jahren unter mysteriösen Umständen. Ihr deutscher Stiefvater wurde deshalb zu 15 Jahren Haft verurteilt. Nun muss sich der leibliche Vater Kalinkas vor Gericht verantworten: Für die Entführung des Stiefvaters nach Frankreich.

 André Bamberski soll den Stiefvater seiner Tochter nach Frankreich entführt haben.

André Bamberski soll den Stiefvater seiner Tochter nach Frankreich entführt haben.

Foto: afp, S Bo/jk

Im Justizdrama um den mysteriösen Tod der 14-jährigen Französin Kalinka vor mehr als 30 Jahren steht nun ihr leiblicher Vater vor Gericht. Der heute 76-jährige André Bamberski soll 2009 die Entführung des deutschen Stiefvaters Kalinkas nach Frankreich eingefädelt haben.

Nach der Verschleppung wurde der Stiefvater, der Arzt Dieter K. (79), in Frankreich vor Gericht gestellt und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Bamberski hat ihn immer für den Mörder seiner Tochter gehalten.

Der Prozess gegen den leiblichen Vater Kalinkas beginnt am Donnerstag (08.30 Uhr) im elsässischen Mulhouse und soll bis Freitag dauern. Dieter K. wird nicht im Gerichtssaal sein. "Aus gesundheitlichen Gründen", wie sein Anwalt am Montag sagte.

Bamberski drohen bei einer Verurteilung wegen Entführung, Beihilfe zur Gewaltanwendung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bis zu zehn Jahre Haft. Mit ihm angeklagt sind die beiden mutmaßlichen Entführer sowie eine Journalistin, die zwischen dem Vater und den Männern vermittelt haben soll.

Bamberski hat nie bestritten, die Verschleppung zugelassen zu haben. Vor Gericht will er sich jedoch wehren. "Ich habe nicht zugegeben, diese Entführung in Auftrag gegeben zu haben", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Ich habe einem Projekt zugestimmt, über das ich informiert worden bin".

Der Arzt war 2009 von seinem Wohnort in Lindau am Bodensee ins Elsass entführt worden. Man hatte ihn gefesselt und geknebelt in der Nähe des Gerichts in Mulhouse gefunden. Die Polizei nahm ihn fest.

Kalinka-Prozess: Deutscher Arzt nach Entführung vor Gericht
9 Bilder

Kalinka-Prozess: Deutscher Arzt nach Entführung vor Gericht

9 Bilder

In Frankreich wurde Dieter K. dann wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge zweimal zu 15 Jahren verurteilt, in erster Instanz im Oktober 2011 und in Berufung im Dezember 2012.

Er soll vorgehabt haben, die Tochter seiner französischen Frau im gemeinsamen Wohnort Lindau 1982 sexuell zu missbrauchen, und soll Kalinka ein Beruhigungsmittel verabreicht haben. Infolge dessen soll das Mädchen dann in seinem Bett im Haus des Arztes gestorben sein. Der Stiefvater hat immer seine Unschuld beteuert.

Der Arzt war 1997 in Kempten zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er eine 16-Jährige mit Schlafmitteln ruhiggestellt und vergewaltigt hatte.

Die Bundesrepublik hatte Dieter K. nie ausgeliefert, weil die deutsche Justiz schon 1987 ein Ermittlungsverfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt hatte. Nach deutschem Recht gilt: Niemand darf zweimal wegen desselben Vergehens belangt werden.

Vor mehr als 30 Jahren starb die 14-jährige Kalinka. Ein deutsch-französischer Justizkrimi begann:

1982: Kalinka wird tot in ihrem Bett im Haus ihres Stiefvaters Dieter K. in Lindau am Bodensee entdeckt.

1983: Die deutschen Behörden gehen von einem Unfall ohne Fremdverschulden aus. Der leibliche Vater André Bamberski hat Zweifel und fordert vergeblich neue Untersuchungen in Deutschland.

1984: Bamberski erhebt Anklage in Frankreich, die Justiz ermittelt.

1985: Die französische Justiz exhumiert die Leiche und geht nach einer erneuten Obduktion von einem Gewaltverbrechen aus.

1987: Die deutsche Justiz stellt Ermittlungen gegen Dieter K. ein.

1993: Ein Pariser Gericht eröffnet ein Verfahren gegen den Deutschen.

1995: Dieter K. wird wegen der Tötung seiner Stieftochter in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt.

2001: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt das Urteil, da nicht einmal der Anwalt des Angeklagten angehört wurde.

2004: Frankreich stellt einen internationalen Haftbefehl gegen Dieter K. aus.

2005: Deutschland verweigert seine Auslieferung mit Hinweis auf die Einstellung des deutschen Verfahrens im Fall Kalinka.

2008: Ein französisches Berufungsgericht hebt das Urteil von 1995 mit Blick auf Verfahrensfehler auf.

Oktober 2009: Dieter K. liegt verletzt und gefesselt in der Nähe eines Gerichtsgebäudes im französischen Mülhausen. Gegen Bamberksi und zwei weitere Männer wird wegen Entführung ermittelt. Kalinkas Stiefvater wird in ein Gefängnishospital bei Paris gebracht. Die Staatsanwaltschaft Kempten erlässt Haftbefehl gegen Bamberski und einen mutmaßlichen Komplizen.

Dezember 2009: Das Landgericht in Toulouse lehnt eine Auslieferung der mutmaßlichen Entführer nach Deutschland ab.

März 2011: Zum Prozessauftakt zweifelt der Verteidiger von Dieter K.
die Zuständigkeit des Gerichts in Paris an. Wegen gesundheitlicher Probleme des Angeklagten wird der Prozess später unterbrochen.

Oktober 2011: Dieter K. wird zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Er habe Kalinka 1982 vorsätzlich Gewalt angetan und so unabsichtlich getötet, erklärt das Gericht. Sein Anwalt kündigt Berufung an.

Dezember 2011: Das Pariser Kassationsgericht gibt der Berufung statt.
Der Prozess wird neu aufgerollt.

27. November 2012: Der Berufungsprozess beginnt bei Paris. Dieter K.
beteuert seine Unschuld.

20. Dezember 2012: Wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge wird der Mediziner erneut zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Einer seiner beiden Anwälte kündigt Berufung an.

2. April 2014: Das französische Kassationsgericht in Paris verurteilt den Stiefvater endgültig.

22. Mai 2014: Im elsässischen Mulhouse beginnt der Prozess gegen den leiblichen Vater Kalinkas wegen Entführung ihres Stiefvaters nach Frankreich, um ihn der französischen Justiz zu überstellen.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort