Naoto Kan in der Bewährungsprobe Welche Rolle spielt Japans Regierungschef?

Tokio (RPO). Japans Ministerpräsident Naoto Kan muss sein Land aus der Krise führen. Ganze Landstriche liegen nach dem schweren Erdbeben und dem Tsunami in Trümmern, das Land steht vor einer nuklearen Katastrophe. Diese Krise zu meistern ist eine Bewährungsprobe, wie es sie wohl nur einmal im Leben eines Politikers gibt.

Fukushma 2011: Chronik der Erdbeben-Katastrophe in Japan
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Chronik der Katastrophe in Japan

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Die Entwicklungen in der atomaren Krise in Japan werden auch über das Schicksal von Ministerpräsident Naoto Kan entscheiden. Und so agiert Kan auch: "Ich verspreche, mein Leben für diesen Job zu riskieren", ließ der Ministerpräsident die Japaner wissen, als er von einem Helikopter aus die Schäden nach dem Tusnami begutachtete.

Tatsächlich könnte Kan nun die Chance in der Krise nutzen, um sein Image des zaudernden Regierungschefs abzulegen und Führungsqualitäten zu beweisen. Am Dienstagmorgen kündigte er an, selbst das Krisenmanagement beim Atomkraftwerksbetreiber TEPCO zu übernehmen, um der Firma nicht die Möglichkeit zu geben, die Probleme herunterzuspielen. Kans Aktion und die häufigen Mitteilungen seiner Regierung lassen einen größeren Willen zur Transparenz erkennen als es bisher in Japan der Fall war.

Schnelle Hilfe

Gleich nach dem Erdbeben und dem Tsunami entsandte der Ministerpräsident Soldaten, um bei Rettungseinsätzen zu helfen. Er öffnete die Türen für ausländische Hilfe, auch für die einstigen Feinde Südkorea und China.

Frühere Regierungen hatten Hilfe bei Katastrophen hingegen stets abgelehnt. Wie etwa nach dem Erdbeben von Kobe 1995, bei dem 6.400 Menschen starben. Die Regierung zögerte zudem damit, Truppen zu senden, Hilfslieferungen aus dem Ausland stapelten sich in Lagerhäusern, die Überlebenden mussten hungern.

"Was wir sehen ist ein neuer Stil im japanischen Krisenmanagement", sagt Thomas Berger, Japan-Experte an der Boston University. Er war knapp vor dem Beben 1995 in Japan und sieht einen enormen Unterschied zwischen damals und heute.

Imagekorrektur für Kan

Kans Schicksal wird sich in den nächsten Tagen und Wochen entscheiden. Bringt er die atomare Krise unter Kontrolle und Hilfe zu den Tsunami-Opfern, könnte er als Held gefeiert werden. Scheitert er, dürften seine politischen Feinde versuchen, ihn bei der ersten Möglichkeit stürzen.

Der Ministerpräsident steht ohnehin mit dem Rücken zur Wand. Zuletzt waren seine Umfragewerte unter 20 Prozent gefallen. Gerade am Tag des Erdbebens begann sein Stuhl zu wackeln, als bekannt wurde, dass er illegale Spenden von einem Ausländer erhalten habe. Nur einer in einer ganzen Reihe von Skandalen, in die er in den vergangenen Jahren verwickelt war.

Streitbarer Minister

Dabei war Kan einst ganz oben auf der Liste der Politiker, die sich die Japaner als Ministerpräsidenten wünschten. 1996 hatte er als Gesundheitsminister die Verfehlungen seines eigenen Ministeriums in einem HIV-Skandal öffentlich gemacht, bei dem 2.000 Bluter mit dem Virus angesteckt worden waren. Ein nie da gewesener Schritt in der japanischen Politik.

Kan könnte nun zu seinem alten Ruf als passionierter und ehrlicher Politiker zurückkehren, auch weil die Grenzen zwischen Gut und Schlecht in einer solchen Krise klarer verlaufen, als bei langwierigen Budgetdebatten und umkämpften Wirtschaftsreformen.

Auf den Straßen von Tokio müssen die Menschen jedoch noch von Kans neuer Rolle überzeugt werden. So wie der 62-jährige Fahrer Yoshitaka Nishimura: "Ich würde nicht sagen, dass er Führungsqualitäten zeigt, aber er versucht zumindest, Führungsqualitäten zu zeigen."

(apd/AFP)
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