Weltjugendtag Das katholische Woodstock

Krakau · In Deutschland halten immer mehr Jugendliche die Frage nach Gott für überflüssig. Beim Weltjugendtag dagegen zeigen junge Leute aus der ganzen Welt ihre Begeisterung für den Glauben. Und fühlen sich nicht allein.

Weltjugendtag 2016 Krakau: Papst Franziskus fährt Straßenbahn
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Papst Franziskus fährt Straßenbahn

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Foto: dpa, ukit lb

Man kann es als Spektakel abtun, was da gerade in Krakau vor sich geht: 1,5 Millionen vor allem jugendliche Pilger kommen zum 31. Weltjugendtag in der polnischen Stadt zusammen. Sie feiern katholische Gottesdienste unter freiem Himmel, treffen sich zu Bibelauslegungen, zu Konzerten, zu Diskussionen, übernachten auf einem riesigen Feld, beten, singen und schweigen dort miteinander.

Und am Rande gibt es diese spontanen Szenen: Jugendliche aus Tschechien stellen sich spontan zu Klatschspielen in einen Kreis und singen christliche Lieder, Jugendliche aus Brasilien bilden unter dem Jubel der anderen eine Menschenpyramide, deutsche Jugendliche skandieren: Gib mir ein Ha, gib mir ein L, Halleluja. Der guten Stimmung schadet auch der Schreckmoment nichts, als der Papst bei der Messe stürzt - er verletzt sich nicht und macht weiter, als sei nichts gewesen. Später fährt er zur Freude der Jugend mit der Straßenbahn durch Krakau. Ist das alles Ausnahmezustand, katholisches Woodstock - oder jugendliche Glaubenspraxis, die der Kirche zu denken geben sollte?

Glauben an Gott als wichtige Leitlinie

Das Verhältnis von Jugend und Kirche in Deutschland ist angespannt. Seit es nicht mehr selbstverständlich ist, dass Familien sonntags in die Kirche gehen, und der christliche Glaube ein Angebot unter vielen geworden ist, schwindet die Bereitschaft unter Jugendlichen, sich auf die Institution Kirche einzulassen. Repräsentative Befragungen wie die Shell-Jugendstudie unter 12- bis 25-Jährigen ergeben, dass junge Menschen zwar an Themen wie Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Umwelt interessiert sind und sich stabile Partnerschaften wünschen. Doch unter den evangelischen und katholischen Jugendlichen finden nur 38 Prozent wichtig, an Gott zu glauben. Anders als muslimische Jugendliche, von denen 76 Prozent den Glauben an Gott als wichtige Leitlinie für ihr Leben bezeichnen.

Kirche assoziieren junge Christen mit Begriffen wie altmodisch, langweilig, fromm, feierlich, kalt. Jugendkultur und religiöse Kultur scheinen kaum noch zueinander zu passen. Vor allem lehnen Jugendliche jeglichen Dogmatismus ab. Die "Generation der Pragmatiker" hält es auch in religiösen Fragen für legitim, sich einen passenden Mix aus Weltanschauungen und religiösen Praktiken zusammenzustellen. Vieles kann, nichts soll.

Das Leben als Transit

Es zeigt sich darin der starke Ich-Bezug junger Menschen, die in einer durch und durch individualistischen Gesellschaft aufwachsen, jeden moralischen Anspruch als unzulässigen Eingriff in ihre innersten Angelegenheiten werten, und sich in ihrem Selbstbestimmungswillen von Pflichten wie jährlicher Beichte, sonntäglichem Kirchgang oder gar sexuellen Einschränkungen nicht begrenzen lassen wollen.

Kirche beiseite zu schieben und sich die Frage nach Gott schlicht nicht zu stellen, erleben viele nicht als Mangel. Einigermaßen anständig durchs Leben kommt man auch so. Und mit Unverbindlichkeit hat eine Generation, die das Leben als Transit erleben muss, ohnehin gelernt zurechtzukommen.

Die Jugend selbst ist ja eine Phase, in der alles in Fluss gerät. Jugendliche müssen sich wachsendem Leistungsdruck stellen, müssen in der Peergroup zurechtkommen, den Umgang mit Freizeit und Konsum lernen. Zugleich beginnen sie sich für die Gesellschaft zu interessieren, für soziale Ungleichheit, die Auswirkungen der Globalisierung. Und am Horizont scheint schon auf, welchen Beruf, welches Studium sie wählen können und wie sie sich Partnerschaft, Familie vorstellen.

Natürlich gibt es da unzählige Fragen, auf die es christliche Antworten gibt. Trotzdem muss die Kirche in Deutschland konstatieren, was Matthias Sellmann, Professor für Pastoraltheologie an der Uni Bochum, eine "radikale Marginalisierung des christlichen Deutungsangebots" nennt. Doch statt nun die "Jugend von heute" zu verdammen und allen Kulturpessimismus in eine Generation zu projizieren, die mit Terrorangst, Klimawandel, globalen Migrationsbewegungen, mit Ungewissheiten und Bedrohungen, zurechtkommen muss, ist es sinnvoll, nach Krakau zu blicken, zu verstehen, was dort geschieht. Was dort anders ist.

Neue Typologien der Jugend

Heranwachsende probieren Lebensstile aus, schließen sich probeweise bestimmten Szenen an. Da gibt es etwa die Hedonisten, die feiern, chillen, Modelshows schauen. Oder die Selbstverwirklicher, die als Sprayer, Skater, Extremsportler Erlebnisse suchen. Oder die Aufklärer, die in Gruppen wie Greenpeace politische Haltungen probieren. Jede Jugendstudie entwickelt neue Typologien. Gemeinsam ist ihnen, dass Jugendliche in ihrem jeweiligen Sosein akzeptiert und ernst genommen werden wollen. Und das funktioniert am glaubwürdigsten untereinander. Ein Weltjugendtreffen ist so eine Gelegenheit, Selbstbestätigung unter Gleichgesinnten zu finden. Und so begeistert die Jugendlichen in Krakau auch vor allem eins: die Gemeinschaft.

Außerdem suchen junge Leute nach Aktivitäten, die spannend, reizvoll, herausfordernd sind, und ihnen die Möglichkeit geben, sich auszudrücken, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Kirchliche Aktivitäten, die diesen Bedürfnissen entsprechen, finden Zuspruch: etwa gemeinsame Bauprojekte, konkretes soziales Engagement in der Gemeinde, Jugendwallfahrten, die auch körperlich herausfordern, freiwillige soziale Jahre bei kirchlichen Trägern im In- und Ausland. Auch die Weltjugendtage bieten hohen Erlebniswert, weil sie Jugendliche aus aller Welt zusammenführen, den Alltag aussetzen, Selbsterfahrung ermöglichen. Junge Christen kommen in Gastfamilien unter, campen mit Gleichaltrigen aus anderen Kontinenten in einer Turnhalle und erleben, dass Gemeinschaft funktionieren kann. Dass es friedlich zugehen kann auch unter Hunderttausenden Jugendlichen, wenn alle sich trauen, freundlich zu sein. Gerade junge Deutsche erleben bei solchen Treffen auch andere Formen von Frömmigkeit, ein selbstbewussteres, selbstverständlicheres Ausleben des eigenen Glaubens.

Der Weltjugendtag ist ein Fest des friedlichen Miteinanders, der spontanen Begegnung, der sichtbaren Begeisterung. Jugendliche müssen sich dort nicht steifen Traditionen unterordnen, die Erwachsene ihnen aufzwingen. Sie entwickeln eigene Formen, feiern und beten, diskutieren und schweigen, öffnen sich füreinander, nehmen einander ernst. Und sind so ziemlich nah dran an der christlichen Botschaft.

(dok)
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