Georg Gänswein, Schatten des Papstes Wie der Papstsekretär Ziel der Intrige wurde

Rom · Georg Gänswein sitzt als Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. an einer wichtigen Schaltstelle. Er filtert die Informationen, die ihren Weg auf den Schreibtisch des Heiligen Vaters finden. Damit hat sich der 55-Jährige zahlreiche Feinde gemacht. Das rächt sich nun in der "Vatileaks"-Affäre: Gänswein rückt zunehmend in den Fokus.

Die wichtigsten Figuren im Vatileaks-Skandal
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Es war im Frühling 2005, zwei Wochen nach der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst. Stanislaw Dziwisz, Sekretär des verstorbenen Johannes Paul II., und Georg Gänswein trafen sich zu einem Vier-Augen-Gespräch. Dziwisz drückte Gänswein einen Umschlag mit vertraulichen Dokumenten und einem Tresor-Schlüssel in die Hand und sagte: "Du hast jetzt eine sehr wichtige, sehr schöne, aber sehr sehr schwierige Aufgabe. Das Einzige, was ich dir sagen kann, ist, dass der Papst von nichts und niemandem erdrückt werden darf. Wie das geht, musst du selbst herausfinden."

Das war der Initiationsritus für den neuen Privatsekretär. Gänswein, der die Geschichte vor Jahren selbst so erzählte, hat diesen Ratschlag ernst genommen. So ernst, dass er in der ominösen Affäre um veröffentlichte Geheimdokumente im Vatikan selbst ins Kreuzfeuer geraten ist.

Gänswein filtert alles

Über die Jahre hat der 55 Jahre alte "Don Giorgio", wie ihn Freunde im Vatikan nennen, viel Macht erlangt. Für manche ist er ein etwas zu auffälliger Schatten des Papstes. Seine Aufgabe sieht der aus dem Schwarzwald stammende Sekretär darin, für Benedikt XVI. das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Eine derartige Selektion ist auch subjektiv. Gänswein filtert alles für den Papst, die Post, Anfragen, Termine, und macht sich so naturgemäß mehr Feinde als Freunde in der Kurie. "Mister No" nennt ihn einer, der Gänswein näher kennt.

Im Zuge der "Vatileaks"-Affäre gerät der Privatsekretär nun zunehmend in die Schusslinie. Dabei sollte bislang wohl vor allem Tarcisio Bertone durch gezielte Indiskretionen beschädigt werden. Der von vielen italienischen Kardinälen angefeindete und für seinen Führungsstil kritisierte Kardinalstaatssekretär ist Regierungschef im Vatikan. Er meldete sich am Dienstag erstmals in der Affäre zu Wort und wertete die Veröffentlichungen der vertraulichen Dokumente als "heftige und organisierte Angriffe", von denen sich der Papst aber nicht einschüchtern lasse.

"Verjagt die wahren Verantwortlichen"

Seit dem Wochenende richtet sich die Kampagne auch gegen Gänswein: "Verjagt die wahren Verantwortlichen aus dem Vatikan", zitierte die Tageszeitung "La Repubblica" aus einem Schreiben der anonymen Verschwörer, die den Spieß nun offenbar umdrehen wollen. Sie deuteten an, es sei Gänswein, der "ständig unzählige geheime Dokumente zugunsten des Kardinalstaatssekretärs" lanciere.

Der Privatsekretär ist Ziel einer regelrechten Erpressung geworden. "La Repubblica" wurden drei Dokumente zugespielt, von denen zwei die Unterschrift Gänsweins tragen, deren Inhalt aber weiter unbekannt ist. Die Maulwürfe kündigten an, die gesamten Briefe zu publizieren für den Fall, dass weiterhin die "Wahrheit verheimlicht" würde. Setzt man die Echtheit der Dokumente voraus, soll wohl vor allem einer der beiden Briefe im Apostolischen Palast für Unruhe sorgen. Er ist auf den 19. Februar 2009 datiert — damals war gerade die Affäre um die Lefèbvre-Bischöfe und den Holocaust-Leugner Richard Williamson im Gang.

Erstes Verhör des Kammerdieners

Dass der Kardinalstaatssekretär und der Privatsekretär des Papstes eng zusammenarbeiten, ist keine Überraschung. Der Eindruck, dass sich die päpstliche Macht bei den beiden wichtigsten Mitarbeitern konzentriert und teilweise verselbstständigt hat, stört im Vatikan jedoch zunehmend. Außerdem wird Gänswein vorgeworfen, den Papst nicht vor dem untreuen und seit zwei Wochen in Haft sitzenden Kammerdiener Paolo Gabriele geschützt zu haben. Der Butler wurde am Dienstag erstmals zu den bei ihm aufgefundenen päpstlichen Dokumenten von einem Richter befragt. Über die Vernehmung drang nichts nach außen.

Doch die Angriffe auf Gänswein gehen sogar über den aktuellen Fall hinaus: So behauptet ein Monsignore aus der Kurie, der Sekretär habe sein Amt missbraucht, um sich selbst zu profilieren. 2010 gab Gänswein der "Bild" ein Interview, bereits 2007 erschien ein langes Gespräch mit dem Papst-Biografen Peter Seewald. Darin sagte "Don Giorgio": "Der Vatikan ist nun einmal auch ein Hofstaat. Und dort gibt's Hofgeschwätz. Aber es gibt auch Pfeile, die ganz bewusst und gezielt abgeschossen werden. Ich musste erst lernen, damit umzugehen." Wenn man so will, legt Gänswein nun seine Reifeprüfung ab.

(RP/pst/das)
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