Anschlag mit zwölf Toten in Paris "Wir haben Charlie Hebdo getötet"

Paris · Ein Killer-Kommando ermordet mitten in Paris kaltblütig fast die gesamte Führungsriege des französischen Satire-Blatts sowie zwei Polizisten. Ein Großaufgebot von Polizisten jagt die Täter.

"Charlie Hebdo" - Die Opfer der Schießerei in Paris
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"Charlie Hebdo" - Die Opfer der Schießerei

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"Wir haben den Propheten gerächt", rufen die mit schwarzen Skimasken vermummten Männer, bevor sie vor dem Gebäude der Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" in einen kleinen schwarzen Citroën steigen und davonfahren. Mindestens zehn Menschen haben die Attentäter in den Redaktionsräumen des religionskritischen Blattes in Paris erschossen, zwei Polizisten sterben auf der Straße. Einem Beamten, der bereits verletzt auf dem Gehweg liegt, schießt ein Angreifer noch in den Kopf, bevor er in das Fluchtauto steigt. Sogar einen verlorenen Turnschuh sammeln die Täter noch ein, bevor sie davonfahren - so zeigt es ein im Fernsehen ausgestrahltes Augenzeugen-Video. "Wir haben Charlie Hebdo getötet", rufen die Täter vor ihrer Flucht.

Rund 30 Schüsse aus Kalaschnikow-Sturmgewehren geben die schwarz gekleideten Männer innerhalb weniger Minuten ab. "Es war ein echtes Gemetzel", beschreibt Luc Poignant von der Polizeigewerkschaft SGP, den Tränen nahe. Die Polizeibeamten, die am Tatort eintreffen, haben mit ihren Dienstpistolen keine Chance gegen die schwerbewaffneten Männer. "Die haben ganz eindeutig eine militärische Ausbildung erhalten", zeigt sich ein ehemaliger Antiterror-Fahnder überzeugt. "Das waren keine Hitzköpfe, die waren vollkommen kaltblütig." Von einem "Akt außergewöhnlicher Barbarei" spricht Präsident François Hollande.

"Je suis Charlie" - Tausende gehen in Paris für "Charlie Hebdo" auf die Straße
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Das Kommando überfällt die Büros von "Charlie Hebdo" im elften Pariser Stadtbezirk um halb zwölf Uhr. Vor der Eingangstür fällt ihnen die Zeichnerin Corinne Rey in die Hände, die gerade ihre Tochter aus dem Kinderhort abholen will. Sie zwingen die Frau, den Sicherheitscode einzutippen, und dringen in die Redaktionsräume ein. Es findet gerade eine Redaktionskonferenz statt, alle wichtigen Mitarbeiter sind versammelt. Corinne Rey hört, wie die Angreifer in akzentfreiem Französisch jeden der Anwesenden auffordern, seinen Künstlernamen zu nennen, um kaltblütig ihre Ziele zu identifizieren. Vier Zeichner sterben so in der Redaktion, die aus Angst vor Angriffen ohnehin gesichert war und unter Polizeischutz stand. Unter den Opfern ist auch Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der unter seinem Künstlernamen "Charb" die umstrittenen Mohammed-Karikaturen gezeichnet hatte. Er hatte aufgrund früherer Morddrohungen einen Leibwächter, aber der kann nichts gegen die maskierten Männern ausrichten. Auch er stirbt im Kugelhagel.

Es ist nicht der erste Angriff auf "Charlie Hebdo", aber ein solches barbarisches Massaker konnte sich bis gestern niemand vorstellen. Das Blatt, das mit einer Auflage von knapp 50 000 Exemplaren erscheint, hatte 2006 die Zeichnungen der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" nachgedruckt. Im Herbst 2011 sorgte das Blatt mit seinem Sonderheft "Scharia-Hebdo" für Aufsehen, das einen witzelnden gelben Comic-Mohammed zeigte. Kurz darauf wurde auf die Redaktion ein Brandanschlag verübt, der nie ganz aufgeklärt wurde.

Gestern gibt es gleich mehrere Augenzeugen, die sich aus den benachbarten Büros auf das Dach des Redaktionsgebäudes geflüchtet haben und von dort aus das Rückzugsgefecht der Attentäter verfolgen. "Ein Kollege, der eine Zigarette rauchen wollte, hat eine Kalaschnikow hinter der Eingangstür gesehen. Er hat schnell umgedreht, um uns zu warnen", berichtet der Journalist Martin Boudot von der Agentur Premières Lignes, der im Nachbarbüro saß. Die Kollegen versuchten daraufhin, die Türen zu versperren. Fünf Minuten lang schossen die Täter nebenan um sich. "Dann haben wir uns auf das Dach geflüchtet", erzählt Boudot. Er filmt von dort mit seinem Smartphone die Fluchtszene, die das Fernsehen später veröffentlicht und während der Experten den Ruf "Allahu akbar" ("Gott ist groß") ausmachen.

"Ich habe mich sofort verbarrikadiert", berichtet ein Nachbar. Polizisten, die Anwohner mit Warnrufen von den Fenstern verscheuchten, retten dadurch möglicherweise Menschenleben. Unweit des Tatorts rammen die flüchtigen Killer einen anderen Wagen und verletzen dessen Fahrerin leicht. Später findet die Polizei den verlassenen Flucht-Citroën am nordöstlichen Stadtrand unweit des Autobahnrings, der die französische Hauptstadt umgibt. Dort verliert sich zunächst die Spur der Terroristen. Eine Großfahndung wird eingeleitet.

So zeigen sich Cartoonisten solidarisch
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Foto: Screenshot Twitter

Wirklich sicher können sich die Franzosen seit diesem Anschlag nicht mehr fühlen, auch wenn die Regierung sofort die höchste Alarmstufe des Anti-Terrorplans "Vigipirate" verhängte. Die Anschlagswarnung gilt im gesamten Großraum Paris, wo Medien, Kaufhäuser, religiöse Stätten, Bahnen und Busse sofort intensiv überwacht werden. Vor allem in den Kaufhäusern herrscht derzeit Hochbetrieb, da der Winterschlussverkauf beginnt. Auch vor den Schulen wurde der Schutz gestern verstärkt, Ausflüge wurden abgesagt, den Parisern wurde von der Benutzung der Metro abgeraten.

Seit den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn 2005 ist ohnehin schon die Warnstufe Rot in Kraft. Schwer bewaffnete Polizisten, teils unterstützt von Fallschirmjägern, patrouillieren vor Touristenattraktionen wie dem Eiffelturm und in den Pariser Bahnhöfen. "Wir wussten, dass wir bedroht sind", sagt ein sichtlich bewegter Hollande, der sofort zum Anschlagsort kommt und ankündigt, dass er sich noch am Abend in einer Ansprache an die Bevölkerung wenden will. Auf der Place de la République, unweit der Redaktionsräume von "Charlie Hebdo", versammeln sich am Abend spontan Tausende Pariser, um ihr Entsetzen über die Morde und ihre Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Viele halten Schreibstifte als Symbol für die Pressefreiheit in die Höhe. Die Muslime Frankreichs, das mit rund fünf Millionen die größte muslimische Gemeinde Europas hat, distanzieren sich von dem Angriff. "Ihre Barbarei hat nichts mit dem Islam zu tun", sagt der Rektor der Moschee von Drancy.

(RP)
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