Paderborn/Höxter "Bist du ein Mann oder ein Waschlappen?"

Paderborn/Höxter · Wilfried W. bezeichnet seine Ex-Frau als treibende Kraft hinter den Taten von Höxter. "Sie ist eine Sadistin", sagt der Angeklagte über sie.

Fünf Monate lang hat er einfach nur da gesessen, zwischen seinen Verteidigern. Er hat zugehört, als seine Ex-Frau Angelika W. tagelang ausgepackt hat - über die ungute Beziehung der beiden, die anderen Frauen, über das qualvolle Sterben von Anika W. und Susanne F. auf dem alten Hof in Höxter-Bosseborn. Manchmal zuckte Wilfried W. mit den Augen, einmal rief er "Lüge!", doch ansonsten schwieg er. Seine Anwälte hatten zu Beginn des Mord-Prozesses vor dem Landgericht Paderborn mitgeteilt, ihr Mandant werde sich erst einmal nicht zu den Vorwürfen äußern. Nun hat der 47-Jährige sein Schweigen gebrochen.

Der stämmige Mann mit dem grauen Drei-Tage-Bart und der Hornbrille hat eine weiche Stimme. Er lispelt, was er rasch thematisiert, indem er von seinen Mitschülern erzählt, die ihn jeden Tag drangsaliert und angegangen haben sollen - auch wegen des kleinen Sprachfehlers. Der Angeklagte will seine Sache offenbar gut machen, man hat den Eindruck, er möchte gemocht werden von den Juristen im Saal, den psychiatrischen Gutachtern. Nervös knetet er seine Hände, dann wieder hält er sie gefaltet. Kommt eine Nachfrage, entschuldigt er sich beflissen, er reagiert fast immer mit: "Genau, richtig" oder "Ja genau."

Wilfried W. erzählt im Ruhrpott-Slang aus seiner Kindheit, von einem gewalttätigen "Vatter", der ihn, die Mutter und die ältere Schwester verdrosch, wenn er getrunken hatte - mit der Faust, der Hand, dem Gürtel. "Wir haben uns schlafend gestellt", sagt W. Der Vorsitzende Richter, Bernd Emminghaus, fragt: "Hat das was gebracht?" und W. antwortet: "Manchmal, ja." Wenn es nichts gebracht habe, habe es erst aufgehört, "wenn wir am Boden lagen und rumgeheult haben". Warum der Vater ausgerastet sei, will der Vorsitzende wissen. "Es ging ums gerade sitzen, vernünftig essen, nicht schwatzen", sagt W. Kleinigkeiten eigentlich, die einen Ausbruch von roher Gewalt provozierten - ganz so, wie es auf dem Hof in Höxter gewesen sein soll.

Angelika W. hat im Prozess von den vielen Regeln erzählt, die es gab, aufgestellt von Wilfried W. Sie und die anderen Frauen hätten ihn etwa immer anschauen müssen, wenn sie mit ihm sprachen - auch wenn es gerade nicht passte, weil sie spülend am Waschbecken stand und gegen die Wand guckte.

W. war kurz auf einer Grundschule, kam dann auf eine Förderschule. Doch überall hätten die anderen Jungs ihn gehänselt, geschlagen. Der Vorsitzende sagt: "Ja, Kinder können grausam sein." W. erzählt: "Einmal wollten sie mich ertränken im Hallenbad." Der Bademeister habe ihn rausgezogen. Der Vorsitzende fragt: "Haben Sie einen Freund gehabt?" W. zögert, dann sagt er: "Ähm. Nein. Nein." Seine Lehrer hätten ihn aufgebaut, und er habe Tiere immer sehr gemocht, vor allem die Familienhunde, einen Schäferhund und einen Pudel. "Ich hasse Tierquälerei", sagt er.

Auf dem Hof, auf dem er mit Angelika W. lebte, verwahrlosten später die Schweine und Hühner. Angelika W. hat im Prozess detailreich beschrieben, wie sie mehrere Hunde erwürgte und eine Katze in den Trockner steckte und tötete - angeblich, weil Wilfried W. wollte, dass sie die Tiere "bestraft".

W. sagt, er sei als Kind und Jugendlicher nie der Anführer, sondern immer der Mitläufer gewesen. Diese Rolle will er auch in der Beziehung zu Angelika W. gehabt haben. "Ich bin nicht der Mann, der Anweisungen gibt", sagt er. "Meine Frau war der Boss." Einmal habe sie ihn gefragt: "Bist du ein Mann oder ein Waschlappen?"

Kurz soll Frieden eingekehrt sein in die Kindheit des Angeklagten. Seine Mutter verließ den gewalttätigen Vater mit den beiden Kindern, lebte dann mit einem Mann zusammen, der "auch mal mit uns gesprochen, uns in den Arm genommen hat", sagt W. Doch es war nur ein kurzer Frieden. W. erzählt, dass der Stiefvater ihn und seine Schwester später sexuell missbraucht habe, zwei-, dreimal die Woche. Er selbst habe damals immer geschwiegen. "Das war beschämend, so etwas kann man doch nicht aussprechen." Er selbst sei klein und dünn gewesen, 13 oder 14 Jahre alt, der Mann mehr als 100 Kilo schwer. W. kommt an seine Grenzen, als die psychiatrischen Gutachter mehr wissen wollen. Er gerät ins Stocken, schaut zu seinem Verteidiger und kann seine Tränen nicht zurückhalten. Es ist ihm sichtlich unangenehm.

Ein Grund für die Kammer, die Verhandlung an diesem Tag nach nur zwei Stunden abzubrechen, ist das Signal des Angeklagten, er sei nun doch bereit, sich begutachten zu lassen. Zumindest zu den Fragen des schweren sexuellen Missbrauchs in seiner Kindheit. Bisher hatte W. sich geweigert, mit den Sachverständigen zu sprechen.

Die Beziehung zu Angelika W. ist nur noch kurz Thema. W. beschreibt seine Ex-Frau als herrschsüchtige, eifersüchtige Frau, die ihn und die anderen Frauen tyrannisierte - und misshandelte. "Sie ist ein Sadist", sagt W.

Es bleibt eine schwierige Aufgabe für die Kammer, herauszufinden, wer von beiden hauptverantwortlich ist für den Tod von Anika W. und Susanne F. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort