Düsseldorf Bücher und Reisen als Lohn für Leistungen

Düsseldorf · Wir haben unsere Leser gefragt, welche Rituale sie am Zeugnistag haben und welche Belohnung es gibt.

Dorothee Kolanus, Nettetal Seit einigen Jahren erfreuen mich meine Enkelinnen (zwölf und 13 Jahre) mit hervorragenden Zeugnissen. Da ich nicht die Oma bin, die Geld für gute Noten gibt, spendiere ich beiden (und mir auch!) eine Städtetour. Dazu wurde ich Mitglied im Deutschen Jugendherbergsverband, und so bereisen wir drei Tage immer wieder andere, von meinen Enkelinnen gewünschte Städte wie Bremen, Hamburg, Köln, Potsdam/Berlin, und dieses Jahr radeln wir nach Xanten. Meine beiden jüngeren Enkelinnen (vier und acht Jahre) stehen schon in den Startlöchern!

Ursula Porten, Willich Meine Enkel bekommen von uns ein Buch ihrer Wahl. Das kommt so gut an, dass der Mittlere und der Jüngste es kaum erwarten konnten, in die Schule zu kommen, damit sie wie ihr großer Bruder ein Buch bekommen. Ich habe mich in den 1950ern über zwei D-Mark gefreut.

Rita Engineer, Krefeld Mir fiel ein Erlebnis als Grundschulkind ein. Es muss das Jahr 1961 oder 1962 gewesen sein. Mein Klassenkamerad hatte wohl ein sehr, sehr schlechtes Zeugnis. Auf dem gemeinsamen Nachhauseweg, der uns an einem Haus vorbeiführte, vor dem ein Pferd stand, hat er sein Zeugnis zerknüllt, in Stroh verpackt und es dem Pferd zu fressen gegeben. Ich war damals sehr beeindruckt über den Mut des Jungen.

Brigitte Schulten-Rogowski, Mettmann Meine Schwester und ich hatten zu Schulzeiten noch eine Großmutter, die bei uns im Haus wohnte. Am letzten Schultag rannten wir mit unseren Zeugnissen direkt zu ihr. Sie las alle Fächer und die Noten laut vor. Danach bekamen wir die Zeugnisse zurück, und sieholte ihr großes Portemonnaie heraus, aus welchem sie für jeden von uns feierlich einen Geldschein zog - natürlich den gleichen Betrag, denn jeder hatte seinen Fähigkeiten entsprechend gearbeitet. Wenn einmal eine schlechte Note dabei war, sagte sie immer, das Wichtigste auf dem Zeugnis sei das Wörtchen "Steigt", bzw. wie es ja heute heißt "Versetzt". An dieses Ritual erinnere ich mich noch heute gerne zurück.

Gisela Stupp, Meerbusch Ich bin der Meinung, dass kaum ein Kind (abgesehen von der Pubertät) absichtlich schlecht in der Schule ist. Meine Mutter hat mit mir in den 1950ern sogar einmal das Kino besucht - trotz oder gerade wegen einer misslungenen Arbeit. Über eine gute Note hat sie sich sehr gefreut und gesagt: "Mensch, Mucki, das ist ja toll!" Und das war es auch schon. Heute flippen Eltern aus und zahlen Geld, wenn ein Kind Einser mit nach Hause bringt. Alle Kinder haben eine gewisse Sensibilität und werden dadurch unter Druck gesetzt. Ich denke, dass man den Zeugnistag feiern sollte, jedoch weniger wegen der Zensuren, sondern weil man wieder ein Schuljahr geschafft hat.

Siegfried Hahn Kein Kind freut sich über schlechte Noten. Meine Kinder und Enkel sollten deshalb nicht auch uns abgestraft werden. Sie sollten nicht Angst haben, diese zu erzählen oder schlechte Noten verschweigen. Darum gab es für uns in dieser Leistungsgesellschaft nur ein Mittel. Auch wir gaben ihnen Geld, aber in einem veränderten Verhältnis: Für die Note sechs gab/gibt es sechs Mark und für die Note eins gab/gibt es eine Mark. Dies scheint zuerst nicht leistungsfördernd zu sein, aber unsere Erfahrung hat es anders gezeigt. Unsere Kinder haben gute Schulabschlüsse gemacht - trotz Wiederholung!

Andreas Eßer, Kaarst Noch heute ist mir die Angst vor dem Tag, an dem es Zeugnisse gab, präsent. 1954 war die Prügelstrafe ein zugelassenes Erziehungsmittel für Eltern und Lehrer. Der Lehrer im Dorf genoss Macht und Ansehen. In der "inoffiziellen Rangordnung" kam er gleich hinter dem Pastor und dem Bürgermeister. Zu Hause gab es für manches Zeugnis als "Belohnung" ein paar saftige Ohrfeigen oder für schlechte Noten Schläge mit einem Haselstecken auf den Hintern. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich am darauffolgenden Tag kaum sitzen konnte, weil der Hintern immer noch schmerzte. Man hatte im Unterricht den Lehrstoff zu lernen und seine Hausaufgaben zu machen. Wenn man etwas nicht so gut konnte, hatte man zu üben. Schlechte Noten wurden grundsätzlich als Ausdruck von Faulheit und Ungehorsam gewertet. Angesichts der heutigen Verhältnisse ist das kaum vorstellbar.

(RP)
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