Fehlerhafte Doktorarbeit / Kollegen attackiert Chinese entkam nur knapp einem Giftanschlag

Gießen (dpa). Jeder Schluck aus der Teetasse brachte den ahnungslosen chinesischen Wissenschaftler dem Tod ein Stück näher. Mit dem Gift der Pflanze Fingerhut sollte der Mann im Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Gießen 1997 zum Schweigen gebracht werden.

Ein Kollege soll auf diese Weise versucht haben, das Bekanntwerden einer gefälschten Doktorarbeit zu verhindern. So jedenfalls sieht es der Staatsanwalt, der dem mutmaßlichen Täter von Montag an vor dem Landgericht Gießen versuchten Totschlag nachweisen will.

Der 38 Jahre alte Angeklagte habe sich den regelmäßigen Tee-Genuss des Wissenschaftlers zu Nutze gemacht, meint Oberstaatsanwalt Reinhard Hübner. Drei Mal täglich goss der Asiate seinen Tee auf, bis er über ständige Übelkeit und starke Herzprobleme klagte. Gerade noch rechtzeigig kam der Wissenschaftler mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus. Dem Mann konnte geholfen werden. Einige Wochen später wiederholte sich die Prozedur. Eine Blutuntersuchung führte zu dem Ergebnis: Vergiftung mit Digitalis, einem Herzmedikament aus den Blättern des Fingerhutes. Die Frau des Opfers habe etwas geahnt und die Tasse ihres Mannes untersuchen lassen. Im Sud der Tasse fand sich das Gift. "Die Dosis war absolut tödlich", sagt Hübner.

Die Staatsanwaltschaft machte eine angeblich fehlerhafte Doktorarbeit als Motiv des Tötungsversuchs aus. Der Doktorvater des Beschuldigte habe wenig Ahnung von der Materie gehabt, so Hübner. Deshalb habe er dem Doktoranden den kompetenteren Chinesen zur Seite gestellt. Beide gerieten jedoch wegen der angeblichen Fehler in den Untersuchungsreihen in Streit. Der angehende Doktor setzte seine Arbeit ohne den Gastwissenschaftler fort, reichte diese ein und erhielt den begehrten Titel. "Bis dahin wäre alles unter der Decke geblieben", meint Hübner.

Eine anstehende Veröffentlichung der Doktorarbeit brachte den Stein ins Rollen. Der Professor habe den 38-Jährigen aufgefordert, Laborunterlagen vorzulegen. Der Chinese sollte mit einer Unterschrift die Richtigkeit bestätigen. Es folgte eine Reihe dubioser Vorgänge an der Hochschule. Laborbücher des frisch gebackenen Doktors verschwanden, ein Brand wurde gelegt, Schläuche von Bunsenbrennern abgezogen und Gashähne aufgedreht. Die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Erst als das Gift im Tee des Gastwissenschaftlers auftauchte, vermuteten die Ermittler eine Verbindung.

(RPO Archiv)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort