Paris Copilot testete Absturz um 8.20 Uhr

Paris · Französische Experten der Flugunfalluntersuchungsbehörde Bea veröffentlichten gestern einen Bericht zum Absturz.

Als der Germanwings-Flug aus Düsseldorf am 24. März morgens in Barcelona landete, hatten die Insassen ohne es zu wissen eine lebensgefährliche Übung hinter sich. Denn Copilot Andreas L. brachte den Airbus A320 auf der Strecke mehrmals bewusst in den Sinkflug und probte damit den tödlichen Absturz rund zwei Stunden später. Das geht aus dem Zwischenbericht der französischen Experten hervor, den die Flugunfalluntersuchungsbehörde Bea veröffentlichte. Von den Passagieren habe keiner etwas mitbekommen, da die Maschine im Anflug auf Barcelona ohnehin an Höhe verlor, sagte BEA-Leiter Rémy Jouty.

Doch L. wandte schon auf dem Hinflug dieselbe Taktik an, mit der er Stunden später 149 Menschen mit in den Tod riss. Der 27-Jährige wartete, bis der Pilot um 08.19 Uhr für knapp fünf Minuten das Cockpit verließ. Das Flugzeug hatte da noch seine Reisehöhe von 37 000 Fuß, rund 12 000 Meter. Doch bereits eine Minute später verringerte der Copilot die eingestellte Höhe für drei Sekunden auf 30 Meter. Zum Ausgleich gab L. dann schnell den Maximalwert von 16 000 Metern ein, so dass sich die Höhe wieder stabilisierte. Aber schon zwei Minuten später entschied er sich wieder für den brutalen Sinkflug, den er allerdings mehrfach wieder veränderte. Um 08.24 Uhr stabilisierte sich die Höhe auf 12 000 Metern. Kurz darauf kam der Pilot wieder ins Cockpit zurück und landete die Maschine in Barcelona.

Doch der Copilot hatte genug geübt, um knapp zwei Stunden später sein tödliches Projekt umzusetzen. Mit grausamer Präzision beschreibt der 29 Seiten lange Bea-Bericht, wie L. dabei vorging. Wieder wartete er ab, bis der Pilot um 10.30 Uhr das Cockpit verließ. Der 34-Jährige erfahrene Kapitän mit 3800 Flugstunden sollte die Kabine nie wieder betreten, denn elf Minuten später zerschellte die Maschine am Pic de l'Estrop. Nur Sekunden, nachdem der Pilot weg war, stellte L. wie schon auf dem Hinflug die Höhe auf 30 Meter ein. Gleichzeitig erhöhte er die Geschwindigkeit, um einen starken Aufprall zu garantieren. Von einem "kontinuierlichen und kontrollierten Sinkflug mit Autopilot" spricht der Zwischenbericht.

Auch zur Krankheitsgeschichte des Copiloten enthält der Bea-Bericht Details. So war in der Pilotenlizenz des 27-Jährigen ein Hinweis auf seine medizinische Vorgeschichte vermerkt ("SIC-Eintrag"). L. war wegen Depressionen behandelt worden. Sein Flugtauglichkeitszeugnis sei deshalb vom flugmedizinischen Zentrum der Lufthansa im April 2009 nicht verlängert worden, erst Ende Juli desselben Jahres wurde er demnach für tauglich erklärt.

Die Bea ist für die nach Flugzeugunfällen üblichen Sicherheitsuntersuchungen zuständig, die unabhängig von der strafrechtlichen Aufarbeitung laufen. Die jetzt vorgelegte Darstellung des genauen Ablaufs des Flugs ist dabei nur ein erster Schritt - der endgültige Bericht wird wohl erst nach einem Jahr vorliegen. Darin geht es dann auch um mögliche Konsequenzen für die Sicherheitsvorschriften in der Luftfahrt. Die französische Behörde will insbesondere die Regeln zur medizinischen Untersuchung von Piloten und die "Balance zwischen ärztlicher Schweigepflicht und Flugsicherheit" betrachten. Zudem steht die Frage der Cockpitsicherheit auf ihrer Agenda. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 waren die Cockpittüren mit neuen Sicherheitssystemen ausgestattet worden. Im Fall des Germanwings-Flugs versuchte der Kapitän vergeblich, in das verriegelte Cockpit zu gelangen.

BEA-Leiter Rémy Jouty erklärte: "Das Szenario einer psychologischen Untüchtigkeit des Piloten wurde damals nicht in Betracht gezogen."

(RP)
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