"Norman Atlantic" "Das ganze Schiff steht in Flammen"

Athen/Rom · Schlechtes Wetter behinderte die Evakuierung der "Norman Atlantic" in der Adria. Die Menschen an Bord der Fähre durchlebten Todesangst.

"Norman Atlantic": Adria-Fähre gerät in Brand
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Fähre gerät in der Adria in Brand

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Rauchsäulen verdunkeln den Himmel, der Wind peitscht, die Wellen türmen sich auf. Die Retter sprechen von einer der schwersten Operationen, die sie je erlebt haben. Es ist ein Alptraum für die Menschen an Bord, deren Angehörige und die Rettungskräfte: Nordwestlich der griechischen Insel Korfu gerät die Fähre "Norman Atlantic" mit fast 500 Menschen an Bord in Brand. Unter den Passagieren sind auch Kinder. Stundenlang sitzen Hunderte auf dem brennenden Schiff fest, das in Richtung Albanien treibt. Das Wetter ist so schlecht, dass die Retter kaum vorankommen.

"Wir werden verbrennen wie die Mäuse", sagt ein Augenzeuge namens Nikos im griechischen Radiosender Skai. Stundenlang gibt es keine gesicherten Hinweise auf Opfer. Zunächst ist von einem Toten die Rede. Jannis, der sich auf ein Containerschiff retten konnte, sagt: "Das ganze Schiff steht in Flammen. Meine Frau war in einem anderen Rettungsboot, das ist aber hier nie angekommen." Ein anderer Passagier spricht von so starker Hitze, dass Schuhsohlen angefangen hätten zu schmelzen.

Die Lage ist unübersichtlich, die Angaben sind gestern widersprüchlich. Aber sicher scheint, dass das Feuer im Morgengrauen auf der Fähre der griechisch-italienischen Reederei Anek Lines ausbrach. Vermutlich im Autodeck. 478 Menschen sollen an Bord gewesen sein, darunter 18 Deutsche.

Rund 150 Menschen können nach ersten Angaben auf Rettungsboote fliehen, aber mehr als 300 sitzen stundenlang auf der brennenden Fähre fest und wissen nicht, ob und wann sie gerettet werden. Medien berichten, dass Rettungsboote verbrannt seien oder nicht ins Wasser gelassen werden könnten.

Vor Anbruch der Dunkelheit können etwa 165 Menschen gerettet werden. Darunter ist nach Informationen der italienischen Nachrichtenagentur Ansa auch eine Frau, in der 30. Woche schwanger, mit ihren zwei Kindern, die vermutlich ins Wasser gefallen waren. Andere Kinder warten demnach im Krankenhaus in Süditalien auf Nachrichten von ihren Eltern, die noch an Bord seien. Das Fernsehen zeigt Bilder, wie Menschen mit dem Hubschrauber aus dem Wasser gezogen werden.

Die "Norman Atlantic" war vom griechischen Hafen Patras über Igoumenitsa nach Ancona in Italien unterwegs. Zwar sagt am Morgen der griechische Minister für Handelsschifffahrt, Miltiadis Varvitsiotis, dass niemand vermisst werde. Aber er räumt ein, dass die Rettung alles andere als glatt läuft. "Es ist eine der schwierigsten Rettungsaktionen, die wir bisher erlebt haben." Angehörige klagen, niemand informiere sie.

"Das große Unglück ist, dass das Wetter überhaupt nicht hilft", sagt Pantelis Trikilis von der Reederei Kyklades Maritime, deren Schiff zu Hilfe geeilt ist, dem Sender Skai. Bei Windstärke sieben bis acht könnten weder andere Schiffe noch deren Rettungsboote einfach an den Havaristen heranfahren und Menschen aufnehmen. Griechenland und Italien versprechen umgehend, alle verfügbaren Mittel zur Rettung einzusetzen. Frachter und Schiffe, die in der Nähe sind, werden zur Hilfe gerufen. Doch gegen das Wetter kann niemand etwas unternehmen, und das Feuer ist stundenlang nicht unter Kontrolle.

Auch Fragen zum Zustand der Fähre häufen sich. Schwere Vorwürfe erhebt der Spediteur Panagiotis Panagiotopoulos, der zwei seiner Fahrer auf der Fähre hat. Er habe sich am Vorabend mit der Reederei gestritten, weil die Fähre nicht geeignet sei. "Das ist verantwortungslos!" Unter anderem die griechische Zeitung "Efimerida ton Syntakton" berichtet, dass bei einer Inspektion am 19. Dezember zahlreiche Mängel an dem Schiff festgestellt worden seien. Unter anderem wurden die Dichtungen, die Rettungsmittel und die Notbeleuchtung bemängelt. Vor allem habe das Schiff aber keinen klaren Rettungsplan gehabt. Die Mängel hätten binnen 15 Tagen behoben werden sollen.

(RP)
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