Saudi-Arabien Das Kalkül des modernen Kronprinzen Mohammed bin Salman

Berlin · Mohammed bin Salman ist der junge starke Mann Saudi-Arabiens. Von Sensationen, Feinden und deutschen Hoffnungen.

Prinz Mohammed bin Salman.

Prinz Mohammed bin Salman.

Foto: ap, VG

Der Wandel in Saudi-Arabien hat einen Namen: Mohammed bin Salman. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor knapp einem Jahr im prunkvollen Palast in Dschidda, dem Sommersitz der saudi-arabischen Königsfamilie, von König Salman zu einem großen Bankett empfangen wurde, war sein Sohn Tischgespräch.

Damals war er noch stellvertretender Kronprinz und Verteidigungsminister. Doch viele Männer an der üppig gedeckten Tafel berichteten den Gästen aus Deutschland von neuer Freiheit und Aufbruch, die es in dem streng nach islamischen Grundsätzen regierten Königreich durch die "Vision 2030" noch geben werde.

So heißt das Reformprogramm für die Wirtschaft des Landes, das der Prinz 2016 vorgestellt hatte. Frauen würden mehr Rechte bekommen, das Land werde sich öffnen und verändern, sagten sie. Wenig später änderte der König erst einmal die Thronfolge und ernannte anstelle seines Neffen Mohammed bin Naif seinen Sohn zum Kronprinzen.

Er ist 32 Jahre alt und damit 26 Jahre jünger als des Königs Neffe und nicht nur näher an der Jugend, sondern auch am 82-jährigen König. Mit seiner Entscheidung für Mohammed bin Salman hat er die ausstehende Machtübergabe an seinen unmittelbaren Nachkommen weitgehend gesichert.

Im Herbst vorigen Jahres ordnete der König per Dekret an, dass auch Frauen einen Führerschein machen und Auto fahren dürfen. Dahinter wurde das Engagement des Sohnes verortet. Auch die Rechte für Frauen waren ein großes Thema während des Besuches von Merkel. Denn Saudi-Arabien will sich wegen der gesunkenen Ölpreise vom Rohstoff Erdöl unabhängig machen.

Für die "Vision 2030", für die im Land auf riesigen Plakatwänden geworben wird, ist ein gigantisches Gesamtvolumen von mehr als einer Billion Euro geplant. Ohne die Mitwirkung von Frauen im Arbeitsleben ist der Wandel aber nicht zu schaffen. So sagte ein Gouverneur an der Festtafel: "Die Männer arbeiten selber und können dann ihre Frauen nicht immer zur Arbeit fahren."

Nun hat der Kronprinz dem US-Magazin "The Atlantic" ein Interview gegeben, das gemessen an der bisherigen Position und Feindschaft Saudi-Arabiens zu Israel als Sensation gewertet werden kann. Auf die Frage, ob er religiös begründete Einwände gegen die Existenz Israels habe, antwortet er: "Wir haben religiöse Bedenken in Bezug auf die heilige Moschee in Jerusalem und die Rechte des palästinensischen Volkes." Aber jedes Volk habe das Recht, "in seinem friedlichen Staat zu leben". Und: "Ich glaube, dass Palästinenser und Israelis das Recht auf ihr eigenes Land haben." Für Stabilität in der Region sei aber ein Friedensabkommen nötig.

Das Außenministerium unter Heiko Maas (SPD) erklärt auf Anfrage: "Das Auswärtige Amt begrüßt die Äußerungen von Kronprinz Mohammad bin Salman zu Perspektiven für einen Frieden im Nahen Osten ausdrücklich." Abseits der offiziellen Äußerung sind die Reaktionen in Regierungskreisen präziser: Der Kronprinz sei sehr nah an der Position Deutschlands und der EU: eine Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser, weil sie das Recht hätten auf ein friedliches Leben in ihrem eigenen Land. Um das zu erreichen, seien ernsthafte Verhandlungen nötig.

Dabei wird darauf verwiesen, dass Saudi-Arabien bereits 2002 unter Federführung des früheren Königs Abdullah eine Friedensinitiative der Arabischen Liga eingebracht hatte. Danach soll sich Israel aus den palästinensischen Gebieten zurückziehen. Bisher hatte das keine Aussicht auf Erfolg. Die Annäherung an Israel betreibt Saudi-Arabien in kleinen Schritten bereits seit Monaten. Zuletzt durfte ein Flugzeug auf dem Weg nach Israel Saudi-Arabien überfliegen. Israel sprach von einem "historischen Flug".

Das Ausland kennt Mohammed bin Salman allerdings auch als aggressiven Verteidigungsminister, der die Militärintervention des sunnitischen Saudi-Arabiens im benachbarten Jemen gegen schiitische Huthi-Rebellen zu verantworten hat - mit allen dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung. Saudi-Arabien befürchtet wachsenden Einfluss des schiitischen Iran. Auch das lässt Riad und Tel Aviv zusammenrücken, die bislang keine diplomatischen Beziehungen pflegen: die Feindschaft zu Teheran.

Die Politik des Kronprinzen sieht nach Kalkül aus, die Macht Saudi-Arabiens in der unruhigen Region mit den Kriegen im Jemen und in Syrien zu festigen, international, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Die Erwartungen an ihn sind dementsprechend hoch. Bei ihrem Besuch in Dschidda hatte sich Merkel mit Unternehmerinnen getroffen. Die Frauen berichteten ihr, wie stark sich ihre Gesellschaft verändere. Sie warnten aber, es gebe Widerstände. Vor allem von ultrakonservativen islamischen Kräften, die keinen Wandel und keine Öffnung wollten. Wer forsch vorangeht, macht sich auch Feinde. Im Inland und im Ausland.

(kd)
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