Hamburg Der Junge von St. Pauli wird 85

Hamburg · Niemand sang hierzulande so erfolgreich über Seefahrerromantik, Sehnsucht und Heimweh. Zehn Nummer-eins-Hits hatte Freddy Quinn, so viele wie kein anderer deutscher Schlagersänger. Zur See gefahren ist er jedoch nie.

Gleich Freddy Quinns erste Single wurde 1956 von einem Radiomoderator vor offenem Mikro zerbrochen - als Schnulze des Jahres. Danach konnte es eigentlich nur bergauf gehen. "Heimweh" lautete der Titel des Lieds und war zwar nur die B-Seite, für Quinn aber der Start einer kometenhaften Karriere. Bis Jahresende gingen eine Million Platten über die Ladentheke, zwei Jahre später waren drei Millionen Stück verkauft, mehr als von jedem anderen Titel in den 50ern. "Heimweh" machte das Nachwuchstalent Quinn zum Schlagerstar, aber es legte ihn auch zeitlebens thematisch fest - auf den melancholischen Sehnsuchtssänger, den es in die Ferne zieht, dessen Herz aber an der Heimat hängt. Geändert hat sich daran bis heute nichts, nur dass die Heimat zum Rückzugsort geworden ist: Seit fast zehn Jahren zieht es Quinn nicht mehr in die Öffentlichkeit, und daran ändert auch sein heutiger 85. Geburtstag nichts.

Dabei hätte er so viel zu erzählen, könnte versuchen, Fiktion und Wahrheit seiner Biografie zu entwirren. Es komme ihm vor, als sei sein Leben eine Erfindung, sagte er einmal in einem Interview, zu viel sei ihm widerfahren. Was auch daran liegen mag, dass sich seine Plattenfirma Polydor nach dem Überraschungserfolg von "Heimweh" genötigt sah, Quinn ein zum Lied passendes Image zu stricken. Dabei ging es um einen jugendlichen Ausreißer, der beim Zirkus anheuert und bei der Fremdenlegion, zur See fährt und in St. Pauli entdeckt wird. "Wer denkt, dass ich ein einsamer Seemann bin, soll sich in der Schwarzwaldklinik den Blinddarm operieren lassen", sagte Quinn einmal dazu. Zumindest aber sei er in Hamburg gezeugt worden.

Tatsächlich ist die Biografie des Sängers schon bunt genug. Quinn wuchs in Wien auf, wurde als Vierjähriger von seinem Vater in die USA geholt, mit sieben wieder von seiner Mutter nach Wien gebracht. Ein weiterer Versuch, als Jugendlicher den geliebten Vater in den USA zu finden, scheiterte - er war mittlerweile gestorben. Quinn landete in Antwerpen, lernte Flämisch und Französisch (insgesamt spricht er sieben Sprachen fließend). Als Artist bereiste er Südeuropa und Nordafrika, diente ein paar Wochen bei der Fremdenlegion in Algerien und wurde schließlich in der Hamburger Washington-Bar, wo er mit seinem besten Freund Erhard Hassek auftrat, vom TV-Regisseur Jürgen Roland als Sänger entdeckt.

Die Legende fügte hier und da etwas hinzu, dass er den Namen Quinn vom Vater übernommen habe zum Beispiel - eigentlich hieß der Sänger Manfred Franz Eugen Helmuth Nidl. Wahrscheinlich, so erzählen es Jugendfreunde im Buch "Freddy Quinn - ein unwahrscheinliches Leben", war es eine Verbeugung vor seinem Idol Anthony Quinn. Vor allem aber entstand die Saga vom melancholischen, ungebundenen und herzensguten Matrosen - ein Bild, dem Quinn auch vom Auftreten her entsprach. Stets gut gelaunt, pflegte er das Bild des Weltenbummlers, der Lederjacke trägt und weder Haus noch Hof besitzt, sondern im Hotel übernachtet. Selbst aus seiner 2008 gestorbenen Ehefrau Lilly Blessmann machte er jahrzehntelang ein Geheimnis - auch des Images wegen.

"Junge, komm bald wieder", "Die Gitarre und das Meer", "Hundert Mann und ein Befehl": Quinns Lieder handeln von Abschied und Heimkehr, von Fernweh und Einsamkeit an fremden Orten. Zehn Nummer-eins-Hits landete er, mehr als jeder andere deutsche Sänger, und verkaufte rund 60 Millionen Tonträger. Seine Kunst bestand darin, glaubhaft zu wirken, mit seinem Bariton echte Gefühle zu transportieren. "Er singt männlich, und doch spürt man das Herz durch", schwärmte ein Fan in der "Bravo". Trotzdem wurmte es ihn, dass er international nicht punkten konnte. Dabei hatte Bert Kaempfert ihm den Titel "Spanish Eyes" geschrieben, doch weil Klagen drohten und Quinn treu zur Polydor hielt, gab er den Titel an Al Martino ab - der darauf eine Weltkarriere baute.

Zweifel an seinem bewegten Leben pflegte Quinn gern mit einem Aktenkoffer voller Dokumente zu widerlegen, alles Schwarz auf Weiß. 85 Jahre in einem Koffer, was für ein Stoff für ein Freddy-Quinn-Lied.

(RP)
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