Bonn Der Macher und Tröster von Bonn

Bonn · Nach dem Tod des 17-jährigen Niklas zelebrierte Stadtdechant Wolfgang Picken nicht nur die Trauerfeier, er kümmert sich seither auch seelsorgerisch um die Angehörigen. Und er kämpft mit ihnen für ein friedliches Stadtviertel.

Die Menschen in Bonn, besonders diejenigen im Stadtteil Bad Godesberg, sind noch immer aufgewühlt durch den schrecklichen Tod des 17 Jahre alten Schülers Niklas, der am 7. Mai so brutal getreten wurde, dass er an den Folgen starb. Dechant Wolfgang Picken, der den Trauergottesdienst zelebriert hat, kümmert sich um die Angehörigen, die verwitwete Mutter und Niklas' ältere Schwester. Vor kurzem sind Mutter und Tochter von einem fünftägigen Urlaub zurückgekehrt, den Dechant Picken vermittelt hatte.

Der Geistliche genießt in Godesberg einen Ruf wie Donnerhall. Er ist das Gegenteil eines stillen rheinischen "Kaplansjemöts". Picken reißt mit, eckt an, er predigt, wie man salopp sagt, seine Kirchen voll; er provoziert und er versöhnt. "Bonn-Camillo" nennen ihn die einen, einen eitlen Kirchenmann die anderen. Wäre Picken Politiker geworden, würde er wohl so manche müde Partei-Stubenfliege wieder zum Brummen bringen. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" beschrieb ihn 2015 als die "strahlendste, auch schillerndste Persönlichkeit" im Klerus des Erzbistums Köln.

Das Extrovertierte, das Etwas-Bewegen-Wollen, ist die eine Seite des Theologen und promovierten Politikwissenschaftlers Picken. Niklas' Mutter und Schwester lernen die andere, die seelsorgerische Seite kennen. Der Geistliche erzählt, wie ihm Niklas' Mutter jetzt erneut signalisiert habe, was die Familie des getöteten Sohnes und Bruders auf keinen Fall möchte: dem in Godesbergs Rechtsradikalen-Milieu geschürten Hass auf Migranten Nahrung geben. Picken zitiert die Mutter: "Ich will, dass wir dem sinnlosen Tod meines Sohnes wenigstens den Sinn abringen, dass er nicht politisch instrumentalisiert wird."

Der Godesberger Pöbel hatte gewütet, vor allem gegen den Geistlichen, der sich sofort nach Niklas' Tod zusammen mit dessen Mutter an die Spitze jener Bewegung gesetzt hatte, die den seit Jahren gesellschaftlich in Wohlhabende und Arme gespaltenen Stadtteil im Süden Bonns nicht den Gewaltbereiten ausliefern mag. "Halt's Maul, Pfaffe!" "Dir sollten auch mal ein paar Ausländer die Fresse polieren, damit du nicht länger so naiv bleibst." So lasen sich Drohzuschriften, die Wolfgang Picken in den Tagen und Wochen nach der Gewalttat bekommen hat. Auch hier säuselt Picken nicht. Er nennt die Absender "Bekloppte". "Die schreien für drei oder auch für zehn, aber das schreckt mich überhaupt nicht, es bewirkt bei mir eher das Gegenteil." Man spürt in dem Moment, wie ernst der 49-Jährige seinen Primiz-Wahlspruch nimmt. Er ist dem Brief des Apostels Paulus an seinen Schüler Timotheus entnommen und lautet: "Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht."

Picken duckt sich nicht weg, was auch schwierig wäre bei 1,92 Meter Körpergröße. Im Sommer vergangenen Jahres wurde er Opfer einer innerkirchlichen Intrige, als es um die Nachfolge des damaligen Düsseldorfer Stadtdechanten Rolf Steinhäuser ging. Picken wäre gerne im Einvernehmen mit Erzbischof Rainer Maria Woelki auf die einflussreiche Position nach Düsseldorf gewechselt. Er hatte Befürworter, aber ebenfalls ambitionierte Gegner im Klerus des Erzbistums. Über Wochen wurde öffentlich über Für und Wider einer Berufung Pickens debattiert und gestichelt, so dass zuletzt der Eindruck entstanden war, dass die wichtige Personalie aus Berechnung zerredet werden sollte. Picken zeigte sich entsetzt und bat den Erzbischof, ihn nicht als möglichen Stadtdechanten zu berücksichtigen. Woelki entsprach seiner Bitte. Ein Unterstützer Pickens meinte daraufhin sarkastisch, eine Institution, die so mit ihren besten Leuten umgehe, schade sich erheblich.

Seit er 2004 als Pfarrer nach Bad Godesberg kam, haben sich die Gottesdienstbesucher-Zahlen vervierfacht. Der ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiter hat Altenheime und integrierte Hospize gegründet, auch einen Prominenten wie Ex-Telekom-Chef René Obermann zurück in die Kirche geholt. Und er steht der von ihm initiierten Bürgerstiftung Rheinviertel Godesberg vor.

So ein Stürmer und Dränger im Priesterrock zögert natürlich auch nicht, die Landesregierung zu kritisieren: "Wieso sich der Innenminister erst Wochen nach Niklas' Tod von der Opposition eine öffentlichen Stellungnahme abzwingen lässt, ist mir unbegreiflich." Immerhin habe Ministerpräsidentin Hannelore Kraft inzwischen Niklas' Mutter einen Beileidsbrief geschickt.

Politische Aktivitäten für mehr innere Sicherheit in Bad Godesberg gingen unmittelbar nach Niklas' Tod vom Geistlichen aus. Bei Bonns Oberbürgermeister und der Polizeipräsidentin fand er Gehör. Ein kommunaler Runder Tisch bewirkte dann erhöhte Polizeipräsenz rund um den Godesberger Bahnhof; zwei zusätzliche Kripobeamte ("JuCops"), die sich um gefährdete Jugendliche kümmern; vier zusätzliche städtische Ordnungskräfte; mehr Beleuchtung und nach Möglichkeit Videoüberwachung.

Und noch einen Beschluss hebt Picken hervor: Künftig muss jeder Schüler in Bonn an Kursen zur Gewalt-Prävention teilnehmen. So, als ahne er die Frage, ob dies alles auch wirklich in die Tat umgesetzt werde, sagt der Macher und Tröster vom Rhein: "Im Juli treffen wir uns wieder. Wir sind in der Pflicht, wie es Niklas' Mutter mir gegenüber beschwörend formuliert: Niklas' gewaltsamer Tod muss in Godesberg ein Einzelfall bleiben."

(mc)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort