Der unsterbliche Winnetou

In den vergangenen 60 Jahren sind die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg zu einem Wirtschaftsfaktor für die Kommune geworden. Auch ab morgen werden wieder über 300 000 Besucher erwartet.

Bad Segeberg Es kracht, es knallt, und Indianer heulen schauerlich. Wenn sich dann noch über dem Bad Segeberger Kalkberg ein Adler mit schwerem Flügelschlag in die Lüfte erhebt, wissen die Schleswig-Holsteiner: Es ist wieder Festspiel-Zeit. Morgen feiert beim ältesten und derzeit größten Karl-May-Festival Deutschlands die Inszenierung von "Winnetou II" Premiere. Seit 60 Jahren sind die Spiele die größte Attraktion im ländlichen Raum zwischen Lübeck und Hamburg. Auch in diesem Jahr erwartet Festspielleiterin Ute Thienel wieder über 300 000 Zuschauer.

Eine respektable Zahl, wenn man bedenkt, dass die Besucherzahl Anfang der 80er Jahre unter die 100 000er Grenze gerutscht war. Ein Grund für den jüngsten Erfolg ist Hauptdarsteller Erol Sander. Der in Istanbul geborene 43-jährige Münchener, der TV-Zuschauern aus der Reihe "Mordkommission Istanbul" bekannt ist, kommt bei den Zuschauern an. 2007 übernahm er die Winnetou-Rolle von Gojko Mitic. Zwei Jahre später knackten die Bad Segeberger Spiele dann mit 320 000 Zuschauer die Rekordmarke aus dem Jahr 1991 (317 000), als Kino-Winnetou Pierre Brice noch durchs Kalkgestein galoppierte. Damit behauptete Bad Segeberg seinen Rang in der Zuschauergunst deutlich vor dem sauerländischen Elspe (176 000 Zuschauer im Jahr 2011), das ebenfalls morgen Premiere feiert.

"Neben dem Hauptdarsteller und den spektakulären Inszenierungen haben aber auch die vielen bekannten Schauspieler, die jedes Jahr nach Bad Segeberg kommen, zum Erfolg der Festspiele beigetragen", sagt Bad Segebergs Bürgermeister Dieter Schönfeld (CDU). So treten in diesem Jahr Dunja Rajter, Timothy Peach und Mola Adebisi auf. Den Old Shatterhand spielt ein alter Bekannter der Bad-Segeberg-Fans: Joshy Peters (54) ist bereits seit 25 Jahren dabei.

Warum schaffen es die Festspiele immer wieder, namhafte Prominete in Deutschlands hohen Norden zu locken? "Ich habe die Möglichkeit, in dieser Zeit meine Familie fast die ganze Zeit bei mir zu haben und nicht von einem Land ins andere reisen zu müssen", sagt Erol Sander. Zudem reize ihn die Aufgabe, vor 8000 Zuschauern spielen zu können.

Für den Regisseur bedeutet allein die Größe der Freilicht-Bühne mit ihren zahlreichen Auf- und Abgängen, über die sich bis zu 80 Schauspieler und Komparsen bewegen, eine riesige Herausforderung. "Wenn man als Zuschauer ganz oben sitzt, kann man oft nicht erkennen, wer gerade spricht", berichtet Regisseur Norbert Schultze, der bereits seine zwölfte Saison ansteuert (69). "Dafür gibt es aber einen Trick: Wer spricht, muss sich dabei bewegen und gestikulieren. Das ist ein bisschen so wie im Stummfilm." Für die Beliebtheit des Festivals bei Schauspielern hat der Regisseur eine naheliegende Erklärung: "Bad Segeberg zahlt gut."

Trotzdem bleibt jährlich noch eine sechs-, in guten Jahren sogar siebenstellige Summe übrig, die die Festival-Gesellschaft an die Stadt Bad Segeberg als Gewinn abführt. "Von den Einnahmen können wir auf jeden Fall den Zuschussbedarf für unsere städtischen Bäder und den Bürgerbus abdecken", rechnet der CDU-Mann vor. Trotz der Professionalisierung seien die Festspiele aber eine Veranstaltung der Bad Segeberger geblieben: "Hier im Ort gibt es kaum eine Familie, von der nicht schon jemand bei den Inszenierungen mitgearbeitet hätte, sei es als Komparse, als Reittrainer oder als Platzanweiser."

(RP)
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