Großrazzien auch in NRW De Maizière lässt Salafisten-Netzwerk verbieten

Berlin · Unter dem Deckmantel einer harmlos klingenden Koran-Verteilung soll die salafistische Vereinigung "Die wahre Religion" Kämpfer für den Dschihad rekrutiert haben. Mit Razzien – in Köln und Neuss – haben die Sicherheitsbehörden begonnen, die Strukturen zu zerschlagen.

"Die wahre Religion": Bilder der Großrazzia gegen Salafisten
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Bilder der Großrazzia gegen Salafisten

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Foto: dpa, hpl

Unter dem Deckmantel einer harmlos klingenden Koran-Verteilung soll die salafistische Vereinigung "Die wahre Religion" Kämpfer für den Dschihad rekrutiert haben. Mit Razzien — in Köln und Neuss — haben die Sicherheitsbehörden begonnen, die Strukturen zu zerschlagen.

Es ist eine der größten Razzien, die Deutschland je erlebt hat: In zehn Bundesländern und an über 200 Orten schlägt die Polizei an diesem Dienstagmorgen seit 6.30 Uhr gleichzeitig zu. Die Beamten durchsuchen Wohnungen und Büros, Lager und auch Moscheen, um Material sicherzustellen und letzte Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit jenes Vereins zu dokumentieren, der auf Verfügung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gleichzeitig verboten worden ist.

Die Polizei Köln teilte unserer Redaktion am Vormittag mit, dass es insgesamt 50 Durchsuchungen in NRW gegeben habe, darunter auch Vereinsverbotszustellungen. Festnahmen habe es keine gegeben. Die Polizei hat nach eigenen Angaben fünf Gebäude in Köln durchsucht, darunter eine Lagerhalle in Pulheim, in der palettenweise Korane gefunden wurden. Die Polizei müsse nun auswerten, was von dem sichergestellten Material Vereinsvermögen sei und was nicht.

In Bonn durchsuchte die Polizei weitere fünf Gebäude unter anderem in Stadtteil Endenich. Zudem wurde ein Vereinsverbot zugestellt. In Neuss gab es nach Angaben der Kölner Polizei auch eine Durchsuchung.

Zudem gab es Durchsuchungen in Aachen, Düren und Eschweiler, so der Pressesprecher der Polizei Aachen, Werner Schneider. In diesen Städten und in Mönchengladbach wurde ein Vereinsverbot ausgesprochen.

 Mit einem Plakat auf dem Rücken versucht ein Teilnehmer der Koran-Verteilaktion "Lies!" die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Mit einem Plakat auf dem Rücken versucht ein Teilnehmer der Koran-Verteilaktion "Lies!" die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

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Darüberhinaus fand die Razzia nach Angaben des Kölner Polizeisprechers unter anderem auch in Bochum, Essen, Gelsenkirchen, Hagen und Dortmund statt.

An dem verfassungsfeindlichen Charakter der Vereinigung besteht nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz kein Zweifel. "Sie vertritt eine Ideologie, die die verfassungsmäßige Ordnung ersatzlos verdrängt, befürwortet den bewaffneten Dschihad und stellt ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für dschihadistische Islamisten sowie für solche Personen dar, die aus dschihadistisch-islamistischen Motivationen nach Syrien beziehungsweise in den Irak ausreisen wollen", heißt es in einer Einschätzung des Kölner Bundesamtes.

DWR und die von ihr organisierte Koran-Verteilungsaktion "Lies!" sind nach den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden allein für den Einstieg von mindestens 140 Personen in den Dschihad verantwortlich — also brandgefährlich auch für die Sicherheit in Deutschland. Das Werben für den Koran in der verteilten deutschen Übersetzung sei "nur die Fassade". Das wird von den Sicherheitsbehörden auch nicht beanstandet. Problematisch sei hingegen der damit verbundene Anspruch, bei dieser extremistischen Auslegung des Korans handele es sich um die einzig wahre und von Allah vorgegebene Interpretation.

Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes spricht die Vereinigung "Juden, Christen sowie Muslimen, die nicht der DWR-Auslegung des Islam folgen, das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Menschenwürde ab". Es bleibe nicht bei einer bloßen Vermittlung von Glaubensinhalten, vielmehr werde von Mitgliedern und Zuhörern eine "bedingungslose Umsetzung dieser Verhaltenspflichten auch in Deutschland" verlangt.

Zu den durchsuchten Objekten gehört auch das Haus des salafistischen Predigers Ibrahim Abou-Nagie aus Köln. Er hatte das Netzwerk 2005 gegründet. Anfangs konzentrierten sich die Aktivitäten der Vereinigung auf Seminare und Vorträge, die auch im Internet verbreitet wurden. Eine größere Öffentlichkeit wurde seit 2011 durch "Lies!" und die zahlreichen Informationsstände mit Koran-Verteilungen und Spenden-Sammelaktionen in vielen Städten aufmerksam. Im Jahr 2015 gab es nach Angaben des Innenministeriums 350 Verteilaktionen in NRW.

Wie die Sicherheitsbehörden ermittelten, umgingen die Veranstalter die Anmeldepflicht in der Folge immer häufiger, indem sie eine Art "Street Dawa" betrieben, eine "Einladung" in den Islam durch das Anbieten von Koranübersetzungen in den Fußgängerzonen. Die Bücher zogen sie dann aus Taschen oder Rucksäcken. Bis Mitte des Jahres sollen nach Abou-Nagies eigenen Angaben insgesamt rund 3,5 Millionen Exemplare in Deutschland verteilt worden sein.

In Videos greift Abou-Nagie die Ungläubigen ("Kuffar") und die Demokratie selbst an. So heißt es in einer seiner verbreiteten Predigten: "Wenn wir die Scharia leugnen, dann sind wir Kuffar, wenn wir die Demokratie akzeptieren, dann sind wir auch Kuffar." Mehr als 2000 solcher Videos sollen inzwischen im Internet aufgetaucht sein. Das Netzwerk soll nach Schätzungen der Sicherheitsbehörden über 500 Personen umfassen. Seine Zerschlagung hat die Polizei unter Federführung des Düsseldorfer Landeskriminalamtes über Monate vorbereitet. Alle Durchsuchungen liegen in den alten Bundesländern mit Schwerpunkten in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat das Verbot der islamistischen Vereinigung "Die wahre Religion" begrüßt. "Die Botschaft in die radikal-islamistische Szene ist eindeutig: Wir dulden in unseren Fußgängerzonen keine Fanatiker, die versuchen, junge Menschen zu radikalisieren und in den Dschihad zu schicken", teilte der CDU-Politiker am Dienstag mit. "Mit dem Vereinsverbot ist bundesweit ein wesentlicher Radikalisierungsfaktor ausgelöscht."

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