Verheerende Party-Krawalle in den Niederlanden Aigner macht Facebook mitverantwortlich

Die Ausschreitungen bei einer Facebook-Party schocken die Niederlande. Hunderte Jugendliche randalierten. "Das war wie im Krieg", sagt ein Anwohner. Das Land sucht nun nach Ursachen. Für die deutsche Verbraucherministerin Ilse Aigner ist klar: Das soziale Netzwerk Facebook trifft eine Teilschuld.

Ministerin Aigner fordert Facebook auf, als Konsequenz aus den Ausschreitungen unverzüglich die Nutzerkonten zu ändern. "Facebook ist mitverantwortlich für solche Eskalationen, weil der Konzern nicht bereit ist, die Datenschutz-Einstellungen zu verbessern", sagte die Ministerin unserer Redaktion.

"Was muss noch passieren, damit Facebook handelt?", fragte die Politikerin.

In der Nacht von Freitag auf Samstag war es bei der sogenannten Facebook-Party im niederländischen Haren bei Groningen zu Gewaltexzessen gekommen. Noch am Sonntag ließ der Schauplatz das Ausmaß der Gewalt erahnen. Glas, Steine und Absperrgitter lagen an den Straßen. Schaufenster waren zertrümmert. Hunderte Randalierer hatten sich Straßenschlachten mit der Polizei geliefert, Geschäfte geplündert, Autos und Schuppen in Brand gesteckt.

Facebook müsse europaweit durch restriktive Grundeinstellungen sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche nicht irrtümlich eine private Veranstaltung für Millionen Nutzer öffentlich machen.

Aigner wertete es als "großen Erfolg für den Verbraucherschutz", dass Facebook unter massivem Druck auch ihres Ministeriums bei der Nutzung des Gesichtserkennungsdienstes eingelenkt hat.

Sie werde "nicht locker lassen und weitere Verbesserung beim Datenschutz einfordern", betonte Aigner. Dazu gebe es intensive Verhandlungen mit dem Konzern und der EU-Kommission.

Die CSu-Politikerin Aigner führt seit mehr als zwei Jahren einen leidenschaftlichen Kampf gegen Facebook. Mehrfach mahnte sie einen besseren Datenschutz an. Aus Protest löschte sie ihr eigenes Profil und rief auch im Bundeskabinett zum Boykott von Facebook auf. Konkrete Veränderungen bei Facebook blieben trotz mehrerer Treffen aus.

In Haren, am Ort des Geschehens, geht die ziemlich deutsche Debatte vorbei. Bürger griffen am Sonntag zu Besen und Schaufeln. Oft mit Tränen in den Augen. "Das war wie im Krieg", sagte ein Mann dem niederländischen Fernsehen. Die Polizei habe viel zu spät eingegriffen.

Vorwürfe auch in den Niederlanden

Auf den dem Schrecken folgen nun Vorwürfe. Doch im Gegensatz zur deutschen Ministerin treffen sie nicht die Betreiber des sozialen Netzwerks, sondern die Behörden und die Medien. Außerdem haben die Niederlande offensichtlich ein ganz eigenes Problem mit einem neuen Phänomen: Party-Hooligans.

Es gab zu wenig Polizei, die Stadt war nicht vorbereitet, klagten Bewohner bei einem Treffen mit dem Bürgermeister. "Jeder wusste doch, was geschehen würde", sagt eine 21 Jahre alte Studentin TV-Reportern. Sie war schon vor mehr als zwei Wochen über Facebook zu der Party eingeladen worden.

Ein neues Phänomen

Die Stadt wies die Vorwürfe zurück. "Wir waren vorbereitet. Aber diese Gewalt hat es bisher noch nicht gegeben", sagt Bürgermeister Rob Bats. Er kritisiert auch die Medien, die den Hype mitverursacht hätten. Das meint auch der Mediensoziologe Peter Vastermann. "Ein Bericht im Internet über ein Facebook-Fest reicht nicht aus", sagt er der Nachrichtenagentur ANP. Erst reguläre Medien machten daraus ein Ereignis.

Deutlich wird vor allem die Ratlosigkeit gegenüber einem neuen Phänomen: Hooligans aus dem Dunstkreis sozialer Medien.

Hunderte Jugendliche kamen mit nur einem Ziel: Randale. Die Angriffe waren geplant, sagte der regionale Polizeichef, Oscar Dros. "Erfahrene Rädelsführer aus dem ganzen Land gingen mit ungeheurer Gewalt und Aggression vor." Erst vor kurzem hat das Institut für Sicherheit und Krisenmanagement in einer Studie festgestellte: "Es gibt eine neue Generation der Fußballhooligans." Sie tauchten nicht mehr nur in Stadien auf und seien über soziale Medien schnell zu mobilisieren.

Begonnen hatte alles wie im Fall Thessa in Hamburg, der ersten schlagzeilenträchtigen Facebook-Party in Deutschland, mit einem kleinen Fehler: Das Mädchen Merthe wollte Freunde über Facebook zu seinem 16. Geburtstag einladen, vergaß aber, das Häkchen bei "privat" zu setzen. 30.000 Facebook-Mitglieder melden sich an. Merthe sagte die Party zwar ab, Bürgermeister und Polizei warnten - vergeblich.

Doch haben die Niederlande auch ganz unabhängig von Facebook ein Problem mit Gewalt. Die Krawalle von Haren sind bei weitem nicht die erste Eskalation. 2009 geriet ein Strandfest in Hoek van Holland außer Kontrolle. Die Polizei schoss in die Menge, ein Mann starb. Und jedes Jahr in der Silvesternacht herrscht Randale in dutzenden niederländischen Städten. Autos brennen, Polizei, Krankenwagen und Feuerwehr werden angegriffen.

Nun traf es Haren, ein wohlhabendes Städtchen mit gepflegten Vorgärten und großzügigen Einfamilienhäusern. "Morgen kann es wieder geschehen", warnt das "NRC Handelsblad". "Medien, Behörden, Randalierer und Mitläufer - alle haben sie ihren Anteil an der Schlacht von Haren." Zumindest in den Niederlanden steht Aigner mit ihrer Kritik an Facebook allein.

(RP/dpa)
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